SideTrack: “Australien und Neuseeland, vereinigt Euch”?


Die Vereinigten Staaten von Australien und Neuseeland – macht das Sinn? Der kanadische Serienentrepreneur Tyler Brûle hat in einem kürzlichen Spiegel-Artikel zur Vereinigung der beiden Titelländer aufgerufen. Diese drollige Idee möchte ich ein wenig näher beleuchten.

Naja, ganz gereicht hätte mir Tylers stilvoll überspannte Rede nicht um diesen Artikel einzustellen – vor allem, weil das Vereinigungsthema nur im Titel vorkommt, aber dann nicht mehr im Haupttext. Ich habe mich in den letzten Monaten auch mit einigen ‚intellektuellen‘ Kiwis unterhalten (die sich über so etwas überhaupt Gedanken machen) und war erstaunt, dass die Idee Neuseeland zum sechsten Bundesstaat Australiens zu machen inzwischen salonfähig ist und offen diskutiert wird (um die vorletzte Jahrhundertwende wurde der Gedanke übrigens schon mal während der Gründung Australiens ernsthaft in Betracht gezogen). Mit etwas gesenktem Blick und Peinlichkeit in der Luft, aber prinzipiell geistert die Idee herum – trotz allem bei Zeiten zur Schau gestellten All Blacks vs. Wallabies Rugby-Chauvinismus.

Ende der 80er, also während meiner ersten Aufenthalte in Kiwiland, wäre der Gedanke im wahren Sinne des Wortes indiskutabel gewesen. Man fühlte sich damals „East of the Tasman“ eher überlegen, gebildeter, als kleines Juwel neben dem großen ungehobelten australischen Bruder, der unverdient zuviel Aufmerksamkeit genoß. Es konnte nur eine Frage kurzer Zeit sein, bis die Welt diese Sichtweise korrigieren würde. In Australien spielt die Frage – übrigens und natürlich – keine Rolle. Dort werden Kiwis als irgendwie ganz ok wahr genommen, wenn man sie überhaupt registriert, denn der Akzent könnte (fast) in die Bandbreite der australischen Dialekte passen. Das spielt sich so ab wie, sagen wir, zwischen den Niederlanden und Deutschland. Die Deutschen nehmen die Niederländer kaum wahr oder ernst. Außer beim Fußball, bei dem die Spuckerei auf Tante Käthe im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben ist, betrachten wir die Holländer als irgendwie ganz nett, jedenfalls nicht störend. Man kennt sie gar nicht genug, um sich über sie aufzuregen. Was den kleinen Bruder umso mehr nervt, dieses Ignoriertwerden. Man hat es nicht leicht als David neben einem Goliath 🙂

Woher aber die Kiwi-Kehrtwende hin an den Busen des vormals prolligen australischen Bruders?

Ein paar Zahlen geben ersten Aufschluß. Die OECD bietet auf ihrer Seite ein paar sehr schön aufbereitete Zahlenreihen an. Die Statistiken verraten, zum Beispiel, zum GDP per Kapita (in USD PPP) [also pro Jahr erwirtschaftetes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf] in den Jahren: 1980, 1990, 2000, 2010, respektive für Neuseeland: 9000, 14000, 21000, 29000, Australien: 10000, 18000, 28000, 41000, und Deutschland: 10000, 18000, 26000, 38000. Diese Zeitreihe belegt wie sich Australien und Neuseeland in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich auseinander gelebt haben (und wie Deutschland und Australien etwa auf Augenhöhe geblieben sind, trotz Wiedervereinigung und trotz China-Boom). Betrug die Lücke zwischen NZ und AUS 1980 nur 10%, so folgten 1990 20%, 2000 28% und 2010 29%. Der Abstand wächst heute zwar langsamer als früher, aber wenig deutet darauf hin, dass sich die Schere in absehbarer Zeit wieder schließen könnte. Subjektiv muss ich den Eindruck, der sich aus den kalten Zahlen ergibt, ebenfalls bestätigen: als ich 1990 von Neuseeland nach Australien umzog, war der Unterschied schon gut sichtbar, aber nicht eklatant. Heute fühlt man sich in NZ gegenüber Australien wie in einer Zeitmaschine, 10 Jahre zurück, wenn es reicht. Damit meine ich vor allem äußerliche Zeichen von Wohlstand und Fortschritt, wie die Qualität der Häuser, Straßen, Infrastruktur, die Autos die unterwegs sind, die Kleider, die die Menschen tragen usw.

„It’s the economy, stupid“ (frei: ‚Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf‘) gehörte zu Bill Clintons Wahlslogans, und ökonomische Gründe für die neue inter-tasmanische Unausgewogenheit sind sicher gewichtig. Dabei folgen beide Länder demselben, angelsächsischen wirtschaftlichen Modell, aber doch mit anderen Ansätzen, in unterschiedlichen Kontexten und offenbar mit verschiedenem Erfolg. So sind in Australien während der Hinwendung zum Neoliberalismus Anfang der 1990er Jahre die Gewerkschaften nie so marginalisiert worden wie in Neuseeland, und damit das arbeitsrechtliche Rahmenwerk weit weniger erodiert worden, vor allem was den öffentlichen Dienst angeht.

Dieser ist in Australien sowieso ganz anders strukturiert, ähnlich dem Bund – Länder – Gemeinden Schema Deutschlands, während in Neuseeland die Länder fehlen. Und das ist profunder als man denken möchte. Australien ist ein klassisch föderales Land. Die australischen Kolonien (New South Wales, Queensland, Victoria etc – waren alles mal separate, eigenständige britische Kolonien) fanden sich 1901 zum „Commonwealth of Australia“ zusammen und delegierten Macht an diese neugegründete Zentralinstanz.

In Neuseeland dagegen gab es von der Stunde Null an eine zentrale Verwaltung (zunächst in Form der „New Zealand Company“ – analog zur berühmten „East India Company“), die sich um alles, und auch alle kolonialen Neuankömmlinge kümmerte. Regionen und Kommunen wurden später von der Zentralmacht mit Autorität versehen, nicht umgekehrt, und diese bleiben bis heute im neuseeländischen Machtgefüge zweitrangig. Diese gänzlich unterschiedlichen Wurzeln wirken bis in den Alltag nach. Der typische Australier misstraut der Regierung (Waltzing Matilda – der australische Cowboy, interessanterweise ist das historische Vorbild ein deutscher Einwanderer – begeht lieber Selbstmord, als sich der Polizei zu stellen – war kurzzeitig sogar australische Co-Nationalhymne). Die Regierung will ihn nur übers Ohr hauen, Steuern abzocken. Man hält sich von ihr nach Möglichkeit fern – da fallen mir auch gleich die opalschürfenden Desperados um Lightning Ridge ein, realexistierendes Australien im Jahr 2007. Der gebürtige Neuseeländer sieht den Staat als „nanny“, als allmächtige Institution, die sich gefälligst um alles kümmern soll – und es auch tut, z.B. durch den verzweigten Beamtenapparat, siehe unten. So ähnlich sind sich die beiden Gebilde AUS und NZ auch von der Mentalität also gar nicht. Australien riecht nach Freiheit und Selbstbestimmtheit, Neuseeland eher nach Ordnung und Geborgenheit.

Um fünf Ecken führt die unterschiedliche Philosophie dazu, dass es in Neuseeland eine ziemlich unübersichtliche Anzahl von Ministerien (30+ und das nach einer Regierungsreform, die schon viele „Departments“ und „Ministries“ verschmolzen hat) gibt, einige davon mit typischen Aufgaben einer Zentralregierung betraut, andere eher mit kleinklein Verwaltungskram beschäftigt. Und das wiederum bedeutet, dass ein Job bei der neuseeländischen Regierung i.a. nichts Elitäres an sich hat, und damit auch kaum die talentiertesten Kiwis rekrutieren kann – ganz abgesehen von der oft grenzwertigen Bezahlung und der praktischen Abwesenheit jeglicher Privilegierung im Vergleich zur Privatwirtschaft, die die bescheidenen Gehälter kompensieren könnte. Australien hat dagegen eine straff organisierte Zentralregierung mit nur 20 Bundesministerien, und das bei einer fünffach höheren Bevölkerung. Nicht-zentrale Aufgaben übernehmen die Bundesstaaten und die Kommunen, und es macht einen erheblichen Statusunterschied, ob man für die Bundesregierung („Commonwealth Government“) oder ein Outfit minderen Ranges arbeitet. Für die Commonwealth Jobs finden zudem nach französischen Vorbild jährlich selektive „concours“, also Aufnahmeprüfungen statt, die Jobs werden nicht schlecht bezahlt incl. des bestmöglichen Arbeitsschutzes und großzügiger Pensionsregelungen, es gibt gute Aufstiegschancen und ein paar Jahre bei den Departments mit dem schärfsten öffentlichen Profil (Treasury, Reserve Bank, Foreign Affairs) gelten geradezu als Sprungbretter in lukrative Karrieren in der freien Wirtschaft. In anderen Worten, die australische Bundesregierung ist eine ernstzunehmende Institution mit hoher intellektueller Schlagkraft und einer Effizienz, die ich sogar in der Privatwirtschaft selten gesehen habe. Ein Teil des australischen Erfolgs der letzten Jahrzehnte läßt sich auf schieres Glück zurückführen, nämlich geografische Nähe zu China und des Erz- und Kohlehungers des erwachenden Giganten.  Ein anderer Teil ist allerdings auch auf fähige Administration zurückzuführen. Und die ist in Neuseeland – trotz sporadischer Lichtblicke – leider dünner gesät.

Nun, trotz aller Unterschiede und Unabhängigkeitsschwüre, gibt es traditionell natürlich auch eine emotionale Nähe Neuseelands zu Australien. Man hatte sich über Jahrhunderte schließlich nur gegenseitig, weit weg von den europäischen Verwandten.

ANZUS ist beispielsweise ein Militärpakt der gegenseitigen Beistand festschreibt (eine pazifische Mini-NATO) und in Fragen von Aufenthalts-, Arbeitserlaubnis und Visaregelungen bilden AUS und NZ eine kleine EU, d.h. es herrscht praktisch Freizügigkeit. Historisch, und geradezu pathosbeladen ist auch die gemeinsame kolonial-militärische Vergangenheit, und hier vor allem der Mythos ANZAC. Übrigens in AUS/NZ ein absolutes Wissensmuss, wenn man ein wenig verstehen möchte wie diese Länder ticken. Ich weiß (noch) nicht erster Hand wie es in Neuseeland abläuft, aber in Canberra war die jährliche ANZAC Gedenkfeier zu Sonnenaufgang des 25. April am Australian War Memorial eine anrührende Angelegenheit, die in den letzten Jahren auch wieder bei jüngeren Leuten verfängt. ANZAC wäre einen gesonderten Artikel wert; im wesentlichen geht es eigentlich um das schlimmste militärische Disaster in der Geschichte Australiens und Neuseelands als die Briten während des Ersten Weltkriegs auf der Gallipoli Halbinsel in der heutigen Türkei (damals Osmanisches Reich) eine große Zahl australischer, neuseeländischer und tonganischer Soldaten verheizten. Kameradschaft, Opferwillen usw. in Gallipoli waren die Attribute, die der jungen australischen und neuseeländischen Nation eine erste Identität verliehen, und sie noch heute emotional binden.

Das ist alles lange her, es gibt keine Russen mehr, die im Pazifik eine militärische Bedrohung darstellen, und China ist noch nicht ganz so weit. Der Austausch der Bevölkerungen, vor allem von Ost nach West („across the Tasman“) ist allerdings in vollem Gange, und Australien hat sich während eines Besuchs der Premierministerin Julia Gillard Anfang 2011 sehr beliebt gemacht, u.a. mit ihrem Sager

„Australia and New Zealand, meanwhile, had ’so much shared history that there was a sense of the family when an Australian stepped onto New Zealand soil‘.“

Die Kiwis waren von der familiären Metapher sehr angetan. Und sie stimmen auch schon längst mit den Füßen ab. 2011 stellte neue Rekorde in der Zahl von Kiwis auf, die über die Tasman Sea nach Aussie machten. Bessere Löhne, besseres Wetter, mehr Jobs, mehr Platz usw. De facto ist auch das schon ein Stück Vereinigung, oder besser Absorption.

Ein Fazit brauchen wir noch … Ich denke es ist fünf vor zwölf für Neuseeland. Entweder das Land und seine Menschen schaffen es endlich alte Zöpfe abzuschneiden, und den ganzen Quatsch zu vergessen, den ihre neoliberalen angelsächsischen Vettern ihnen über Jahrzehnte aufgeschwatzt haben, und eine – hüstel – geistig-moralische Wende hinzulegen, oder sie können ihre Regierung auch ganz nach Australien outsourcen (wobei sich die Frage stellt, ob Australien Neuseeland überhaupt wollen würde). Mit dieser Wende meine ich eine weg vom Immobilien-Cargokult, und anderem get-rich-quick Blödsinn und hin zum Aufbau nachhaltiger Industrien, die die Kreativität und Begeisterungsfähigkeit der Kiwis in greifbare Produkte umsetzen, die dem Land wieder zu Ansehen und Status in der Welt verschaffen, und den Kiwis die Gewissheit auf eigenen Füßen stehen zu können. Hoffentlich kein Wunschdenken …


One Response to SideTrack: “Australien und Neuseeland, vereinigt Euch”?

  1. supasonic sagt:

    wieder mal ein guter Artikel von dir Peter! Aber ich denke das wird keien Veränderung in Neuseeland passieren! Die Wirtschaft in Australien boomt ja auch nur wegen den Rohstoffen, von einer konkurrenzfähigen Industrie, Nachhaltigkeit und neuen Technologien sind die Aussies auch weit weg! Ein CEO einer der größten Australischen Unternehmen, ich glaub es ist eine Firma im Logistikbereich hat gesagt, dass Australien ohne seine Rohstoffe so kaputt wie Griechenland wäre!! Der muss es ja wissen! Ich kenne mich mit der Economy beider Staaten nicht so gut aus wie du, aber für mich hat Australien halt seine Rohstoffe und macht damit viel Geld, Neuseeland hat wenig Rohstoffe und macht Geld mit Agrarprodukten und Tourismus!!

    Aber mal ehrlich was soll es, schau dir Deutschland an, wenn die Chinesen und Inder oder Russen oder Koreaner oder was weiß ich wer in 20 Jahren unsere Maschinen nachbauen können, (was mit links machbar sein sollte, da Daimler, Siemens usw. nicht nur Werke sondern sogar Schulungseinrichtungen in diesen Ländern aufbauen und die Menschen dort ausbilden) dann wird auch kaum eienr mehr Maschinen und Autos aus Deutschland kaufen und ohne diese Autos und Maschinen ist Deutschland am Ende!
    Rohostoffe und Agrarprodukte sind immer gefragt und werden in 30 Jahren noch gefragter sein, deshalb werden Staaten wie Kanada und Australien auch eine glorreiche Zukunft haben und wer weiß, vielleicht auch Neuseeland!

    Gruß Patrick

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