SideTrack: Die Botschaften eines Diplomaten


Neuseeland auf Kiwis, Pinguine, Mittelerde und andere Silly Stories reduzieren, das wollen wir nicht. Deshalb gleich auf der Homepage das Warnschild „Seriously Kiwi“. Peter Rider, seit 2010 seines Zeichens höchster Repräsentant Neuseelands in Deutschland, sprich der neuseeländische Botschafter in Berlin, könnte dem gar nicht mehr zustimmen, und hat sich deshalb mit uns zu einem kleinen Gedankenaustausch zusammen gesetzt.

Natürlich versuchte ich mit aller gebotenen journalistischen Ernsthaftigkeit ein paar Themen weltpolitischer Brisanz abzuarbeiten: Euro-Endzeitstimmung, Deutschlands Nichtsitz im UNO Sicherheitsrat, Fruchtfliegenalarm in Auckland – aber weil Peter (wie man es oft bei Peters findet) sich als ein so netter Kerl herausstellte, der auch noch weiß wie man Gespräche in richtige Bahnen lenkt ( 🙂 ) , endete es mit einem freundschaftlichen Austausch – und allzu traurig bin ich darüber nicht. Ein paar inhaltliche Highlights möchte ich trotzdem mit Euch teilen – schließlich mache ich das alles ja nur für meine Leser …

Wer ist Peter Rider?

Kaitaia-Boy, also aus dem höchsten Norden Neuseelands. Bachelor-Studium der Physik – womit er bei mir Sympathiepunkte sammelt – gefolgt von einem Masters in Philosophie, Thema Ludwig Wittgenstein. Danach einige Bewerbungen bei affin wirkenden neuseeländischen Ministerien incl. Wissenschaft, aber kein Glück, bis das neuseeländische Außenministerium schlau genug war, Peter als Vertreter der Spezies „smart people“  einzustellen. Seither Karrierediplomat mit Herz und Seele, im üblichen Wechsel von Auslandsentsendungen und Wellingtonaufenthalten. Stationen: Mittlerer Osten, Thailand, UNO in New York (Rio Summit, Abrüstung), das Büro der Premierministerin Helen Clark, und nun Deutschland. Verheiratet, zwei erwachsene Kinder, der Sohn Ingenieur in Hong Kong, die Tochter im Moment Fulbright-Stipendiatin in New York. Wohnhaft in Ngaio, Wellington, Bach bei Rotorua.

Peter Rider, neuseeländischer Botschafter in Berlin

Peter Rider, neuseeländischer Botschafter in Berlin

Wie kam Peter zur Position des neuseeländischen Botschafters in Deutschland?

An seinen Deutschkenntnissen aus Gymnasialzeiten in Kaitaia lag es jedenfalls nicht, und auch nicht an seiner Expertise zu Wittgenstein. Eher schon die übliche Mischung von zur richtigen Zeit, am richtigen Ort plus eine Portion Neugier auf Deutschland. Peter bleibt noch bis 2014 neuseeländischer Botschafter in Berlin.

Twittered und Facebooked Peter Rider?

Da muss ich den potentiellen Fanclub vorerst enttäuschen. Zwar wird die sogenannte „public diplomacy“ von ein paar neuseeländischen Botschaftern ausprobiert, etwa dem High Commissioner in Ottawa, aber Peter macht noch nicht mit. Es ist auch ein schwieriges Feld, weil Privates mit Beruflichem vermengt wird – vielleicht besser erst abzuwarten, wie sich das Modell bewährt.

Was macht Peter Rider als Botschafter überhaupt?

Von vier Säulen war die Rede

  • Vertretung der wirtschaftlichen Interessen Neuseelands in Deutschland (oberste Priorität)
  • Zusammenarbeit mit Deutschland bei multilateralen Themen
  • Konsularische Dienste (Visas, Reisepässe etc.)
  • Botschaftsrolle für mehrere kleine osteuropäische Länder

Im wesentlichen geht es bei der Vertretung wirtschaftlicher Interessen darum, dafür zu sorgen, dass neuseeländische Handelsaktivitäten in Deutschland glatt laufen, Türen zu öffnen, und Lobbyarbeit zu leisten.

Im Detail unterstützen Peter und sein Team zum Beispiel neuseeländische Exporteure von Agriprodukten, wenn es etwa Ärger mit Papierkram gibt. Dabei lernte ich, dass Deutschland ein Kernmarkt u.a. für neuseeländische Äpfel, Kiwifrüchte und Schafsfleisch  ist. Bei Hirschfleisch aus Neuseeland ist Deutschland sogar Absatzmarkt Nummer 1, so dass neuseeländische Exporteure auf einen verlässlichen Horchposten in Deutschland angewiesen sind.

Türen öffnen sich – etwa bei einer hierarchisch straff organisierten Firma wie Siemens eher, wenn sich ein Botschafter anmeldet.

Lobbyarbeit ist angesagt etwa bei Gefahr im Verzug, zum Beispiel wegen einer Nachhaltigkeitsdebatte im Zusammenhang mit der Ökobilanz von Importen von Agrargütern vom anderen Ende der Welt. Angenehmer sind sicherlich Veranstaltungen wie ‚Ehrengast Neuseeland‚ bei der Frankfurter Buchmesse, wobei es nicht darum geht den Verkauf neuseeländischer Bücher in Deutschland zu steigern, sondern das Image Neuseelands als Kulturnation zu schärfen (siehe oben – ungleich Kiwis, Pinguine, Hobbits), und so indirekt für geschäftliche Aktivitäten zu positionieren. Daneben lädt der Botschafter deutsche Wirtschaftsvertreter zu den üblichen Veranstaltungen ein, informiert und hilft den Parlamentariern um Jürgen Hermann, der die ‚deutsch-neuseeländische Freundschaftsgruppe‘ im Bundestag führt usw.

Zu den Diensten für die Öffentlichkeit muss ich den Lesern wahrscheinlich nicht viel erzählen. An der neuseeländischen Botschaft geht kein Antrag auf Studenten-, Arbeits- oder Einwanderungsvisum nach Neuseeland vorbei.

Was läuft auf politischer Ebene?

Nach Aussage von Peter eher wenig. Es gibt keine politischen Streitigkeiten zwischen Deutschland und Neuseeland, und … if it is not broken, dont fix it. Auch wenn es Probleme gäbe, kämpft Peter natürlich mit dem Status Neuseelands – sorry – als Kleinstaat, der im Zeitalter einstürzender Neuwährungen unterhalb des politischen Radars Berlins fliegt.

Ansonsten sammeln Peter et al. Informationen zu EU-relevanten Entwicklungen im politischen Deutschland und steuern ihren Teil zum regelmäßigen „Brief“ der Botschaft in Brüssel an das Hauptquartier in Wellington bei. Neuseeland ist wegen seiner effektiven Monolingualität fast völlig auf die Produkte der amerikanischen und englischen Presse angewiesen, die z.B. die Eurokrise aus ganz eigenem Blickwinkel und Interesse interpretieren. Peter Rider versucht das Meinungsmonopol aufzubrechen.

Im übrigen orakelt Peter das baldige Ende der griechischen Euro-Mitgliedschaft, denkt aber, dass Frankreichs neu gefundene Konfrontationslust sich nach den Parlamentswahlen in Frankreich abschwächen wird. Mal sehen, ob er hier Europaversteher genug ist …

Ach ja, last but not least, Neuseeland unterstützt Deutschland nicht – wirklich – beim Erlangen eines permanenten Sitzes im UN-Sicherheitsrat. Das finde ich ok, denn Deutschland versucht es ja gar nicht mehr richtig. Ansonsten setzt sich Neuseeland für eine grundlegende Reform ein, würde etwa gerne einen Sicherheitsrat sehen, der repräsentativer als der jetzige ist, und vor allem das Vetorecht abschaffen. Sisyphosarbeit, denn über eine Reform der Organisation wird seit Peters New Yorker Zeiten 1995 geredet, ohne dass etwas passiert ist.

Was hat der neuseeländische Premier John Key mit Angela Merkel zu bereden?

Interessanterweise kam Peter hier unumwunden auf den kritischen Faden zu sprechen, an dem praktisch die gesamte neuseeländische Volkswirtschaft hängt: ausländische Kreditgeber. Ein Schuft der Übles dabei denkt. Ich interpretiere das so, dass auch John Key bei Kanzlerin Merkel den Weltuntergang heraufbeschwören wird, sollte Deutschland nicht den Euro, die Banken, Südeuropa im allgemeinen etc retten. Denn würde Merkel tatsächlich den Daumen senken, würden – wie bei Lehmann anno 2008 – die internationalen Kreditmärkte ins Stocken kommen, und die gerade sich wieder ausdehnende kreditgespeiste Immobilienblase in Neuseeland eventuell platzen. Ein Horrorszenario für jeden Vertreter des politischen und wirtschaftlichen Status Quo.

Wie steht der Botschafter zu den zwei ‚heißen‘ Themen, die unsere Leser bewegen: Doppelte Staatsangehörigkeit, und ein Sozialversicherungsabkommen?

Zum Thema Sozialversicherungsabkommen ist das gute Wort, dass es an dieser Front sicherlich keine Bewegung geben wird, solange sich niemand rührt. Im Klartext heißt das, dass es einfach zu wenige Deutsche in Neuseeland (und wahrscheinlich praktisch Null Kiwis in Deutschland) gibt, die das Thema dadurch auf die Tagesordnung setzen, dass sie zum Beispiel in großer Zahl und mit Penetranz bei Ämtern, Ministerien und Politikern nachfragen, warum dieses Abkommen nicht verhandelt wird.

Beim Thema doppelte Staatsangehörigkeit für in Neuseeland lebende Deutsche kann sich Peter guten Gewissens zurück lehnen, denn es ist ja nicht die neuseeländische, sondern die deutsche Seite, die blockiert. Aber auch hier gilt, dass sich deutsche Politiker und Behörden nicht bewegen werden, wenn die Betroffenen keinen Druck ausüben. Peter erwähnte immerhin, dass in seinen Gesprächen mit dem deutschen Botschafter in Wellington das Thema zur Sprache gekommen wäre, und dass sein Eindruck gewesen sei, dass der deutsche Botschafter als Vertreter einer ‚traditionell homogenen‘ Gesellschaft einen vereinfachten Weg zur doppelten Staatsangehörigkeit für in Neuseeland lebende Deutsche nicht unterstütze. Es wäre natürlich gut den deutschen Botschafter direkt zu Wort kommen zu lassen. Ich arbeite daran. Prinzipiell kennt ihr meinen Standpunkt dazu, nämlich, dass es fundamental ungerecht ist, dass in Deutschland lebende Migranten die doppelte Staatsbürgerschaft zu Hunderttausenden erhalten, während bei den wenigen in Neuseeland lebenden Deutschen mit großer Fanfare auf angebliche Prinzipien gepocht wird.

Peter Rider zu Mustern in Migrationsströmen

Am faszinierendsten waren hier die Themen Schüler und Studenten, sowie Künstler.

Zum einen scheint es einen regelrechten Boom unter deutschen Eltern zu geben, ihre Kleinen ein Jahr lang in einer neuseeländischen Schule unterzubringen, und zwar nicht nur bei großen Nummern wie dem „Rangitoto College“ am North Shore in Auckland, sondern gerade auch bei kleinen Provinzschulen. Der Andrang sei so groß, dass die Visabearbeitung am Anschlag läuft.

Auch deutsche Studenten zieht es massenweise nach Neuseeland. Ich war selbst mal einer davon. Damals, 1989, gab es meines Wissens ganze 2 deutsche Studenten in Neuseeland, und wir bezahlten die Zeche selbst. Heute sind es, zusammen mit den Schülern, zu jedem gegebenen Zeitpunkt sage und schreibe etwa 4000! Anekdotisch kann ich das bestätigen. Ohne aus irgendeiner Ecke deutsch zu hören, kann ich eigentlich nicht mehr den Campus der Universität Auckland überqueren.

Dann gibt es da noch die deutschen „Working Holiday Makers“, also Arbeitstouristen für ein Jahr. Davon seien laut Peter Rider etwa 9000 unterwegs, und stellen zahlenmäßig damit weltweit die Nummer 2 nach den Working Holiday Makern aus Großbritannien. Auch das erstaunlich.

Umgekehrt, neuseeländische Schüler, Studenten und Working Holidays Dudes in Deutschland – so eher 100, was Peter vor allem auf die weitgehende Abwesenheit von Fremdsprachenunterricht an neuseeländischen Schulen zurück führt.

Neben den bemerkenswerten Zahlen sprach Peter noch kurz die Dinge an, die im Zusammenhang mit den neuseeländischen ‚Bildungsexporten‘ nach Deutschland anfallen: Anerkennung neuseeländischer Universitätsabschlüsse in Deutschland durch die deutsche Kultusministerkonferenz, Vergleichbarkeit des neuseeländischen NCEA mit dem deutschen Abitur usw. Ich denke, ich werde dazu einen extra Artikel schreiben.

Da bleiben noch die Künstler. Ich musste schmunzeln, als Peter davon sprach, dass sich viele neuseeländische Musiker und Schriftsteller nach Deutschland, und speziell Berlin absetzen, weil sie sich das teure Leben in Neuseeland nicht mehr leisten können (siehe auch hier). Meine Meinung zu den Lebenshaltungs- und Mietkosten in Neuseeland ist ja auch absolut publik. Übrigens unterhält Neuseeland auch einen Writer-in-Residence in Berlin, leider bar jeglicher deutscher Öffentlichkeit.

Was würde Peter Rider Kiwis empfehlen, die über die Teiche machen und in Deutschland leben möchten?

Deutsch lernen, und zwar unbedingt bevor sie in Deutschland aufschlagen. Danach will in Deutschland ja immer jeder Englisch mit den Kiwis reden 🙂 … in unserer übereifrigen Musterschülerart.

Zweitens sich darauf einstellen, dass man (minus-Berlin) nicht mehr mit den letzten Fetzen am Leib vor die Tür gehen kann. Ist ja ansonsten eine große Kiwitradition, an die ich mich zugegebenermaßen auch anpasse.

Was würde Peter Rider Deutschen empfehlen, die in Neuseeland Urlaub machen wollen?

Wenn ihr Rotorua abhakt, eher nicht den großen etwas versifften See besuchen, sondern einen der kleineren in der Gegend. Und natürlich unbedingt 90-Mile-Beach exekutieren, denn Peter kommt aus Kaitaia, und kann einfach nicht anders.

War das alles?

In der Tat, das war es bei Weitem nicht. Wir haben noch über Maori, Südseeklischees, Türken, Australier, das beste Marae aller Zeiten in Hamburg, Autobahnen, Fahrradhelme, Software, die BayWa und vieles mehr gesprochen, aber das ist jenseits der Randbedingung ‚Kernthemen‘.

***

NZ2Go bedankt sich herzlich bei Peter Rider für den halben Vormittag, und die Informationen und Meinungen, die er so offen mit unseren Lesern teilt.


2 Responses to SideTrack: Die Botschaften eines Diplomaten

  1. Barry Mora sagt:

    No surprise that Peter says „not necessary“ to a possible Sozialabkommen with Deutschland. There are a good number of German people in New Zealand, and certainly some Kiwis in Germany. I lived in Germany from 1976 to 1988 where I was an opera singer in Gelsenkirchen and in Frankfurt a.M.. Of course,I paid into the Bundesversicherunsanstalt (BfA) jetzt Bundesversicherung Bund, for all those
    years,only to discover at 65, that my deutsche Rente would be aufgeschnappt in New Zealand by the Government.
    No wonder there’s no talk of a Sozialabkommen!!. New Zealand doesn’t want to
    talk because it make’s approx $240,000,000 yearly from 70,000 people who have gone there to live from other countries, and lose their foreign contributory pensions.
    Peter understands this,and that is why he had very little to say on that subject.He probably has instructions not to.

  2. Jenny sagt:

    Wow, ein richtiges Promi-Interview! Peter, du machst dich 😉 Danke für die vielen Insiderinformationen. Jetzt kann ich beim nächsten Stammtisch richtig angeben…

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