SideTrack: I Diehl, oder der Herr der Brezelringe


Als Deutscher nimmt man seine Bäckerei und die große Auswahl an Broten und Brötchen gerne als Selbstverständlichkeit hin. Einmal in Neuseeland angekommen, lernt man das deutsche Brot aber schnell schätzen – denn in Neuseeland ist es nur schwer zu haben. In Supermärkten und lokalen Bäckereien werden fast ausschließlich die quaderförmigen, schwammigen Ziehharmonikas, die in Deutschland als Toastbrot bekannt sind, als eigentliches Brot (nicht Toastbrot) verkauft. Es gibt zwar nicht nur die unansehnlichen Plastikbeutel mit den vorgeschnittenen quadratischen Brotscheiben, sondern auch ganze Brotlaibe, aber substantiell ändert es nichts: das sogenannte Brot hat die gleiche Kaugummikonsistenz, und denselben oft etwas süßlichen Geschmack (Brötchen/Semmeln werden übrigens als „Kaiser Rolls“ bezeichnet). Daneben gibt es noch einige akzeptablere Arten von Weißbrot, Ciabatta oder auch Baguettes, hie und da auch Brote mit Sauerteig oder Roggenanteil, die aber durchweg zum Gummiartigen neigen. Eßbar sind sie, die Kaiser Rolls sind sogar ganz ok, wenn frisch, aber nur so von Weißbrot zu leben, ist auf Dauer nichts. Komische Notiz am Rande: die Hersteller des Ziehharmonikabrots geben sich um die gähnende Langeweile ihrer Produkte etwas aufzupolieren immerhin große Mühe mit dem Design der Plastikbeutel. Da steht dann zum Beispiel „Bavarian Loaf“ oder so drauf, mit zünftigen Wappen und Figürchen drauf gedruckt. Frage ist dann nur noch, ob man lachen oder weinen soll. Ich lache lieber 🙂

Doch Rettung ist nah, zumindest im Großraum Auckland, in Form von Diehl’s Bakery im Industriegebiet Wairau Park (genaue Adresse unten). Zugegeben, die Lage ist obskur. Die deutsche Backstube wird flankiert von einem Bootsbauhangar. Und die Zufahrt ziert ein Boxclub, in dem – übetrieben gesagt – Halbweltgestalten verkehren, na sagen wir zumindest mal das eine oder andere verbeulte Gesicht. Wenn es nicht das große Schild mit der vertrauten Brezel am Straßenrand gäbe, könnte man Diehls Stube fast übersehen. So aber stach mir das Schild sofort ins Auge, und es war ein wenig wie das Paradies nach langer Abstinenz von „echtem“ Brot, die Bäckerei zu betreten und im wohligen Geruch von Roggenbrot, Apfeltaschen und Berlinern zu schwelgen.

Doch dann die erste Ernüchterung. Hinter dem Verkaufstresen anscheinend chinesisches Personal (ironischerweise stellt sich später heraus, dass es sich dabei ganz deutsch-traditionell um die Bäckersfrau handelte). Oh je, endet das etwa wie mit den vielen vietnamesischen Bäckereien in Australien, die meistens pappsüße Kuchen verkaufen? War der Geruch eine Halluzination? Klares Nein. Die Verkaufsregale sprechen eine eindeutige Sprache: hier wird deutsch gebacken und sogar gesprochen. Denn im eigentlichen Handwerksbereich, der nicht im Hinterzimmer liegt, sondern offen eingesehen werden kann, in dem gemischt, geknetet, geschnitten, und geschwitzt wird, begrüßt einen das freundlich lächelnde (manchmal auch etwas abwesende) Gesicht des Herrschers über Teig und Streusel: Bäckermeister Ingo Diehl, original mit Urkunde der Wiesbadener Handwerkskammer an der Wand hinter dem Tresen.

Ingo – ich darf ihn so nennen, denn er ist so etwas wie eine väterliche Ikone der deutschen Community in Auckland, und man ist schnell per Du – kam 1982 das erste Mal nach Neuseeland, damals noch als Tourist. Wie viele andere deutsche Einwanderer fiel es ihm nicht leicht, sofort die Brücken nieder zu brennen und sich für immer für Neuseeland zu entscheiden. Erst 1990 war es mit der Auswanderung endgültig soweit, Ingo verkaufte die Familienbäckerei am Hanauer Freiheitsplatz, und zog mit seiner Frau und deren jüngstem Sohn in die neue Heimat. Ingo sagt freimütig, dass er die ersten zwei Jahre in Neuseeland im wesentlichen mit Beobachten und Nachdenken verbracht hat: er hätte ein Gefühl dafür entwickeln wollen, „was in dem Land geht“. Das kann ich übrigens gut nach vollziehen, denn  – wie in vielen Artikeln hier angesprochen – in Neuseeland gibt es wenige vorgetrampelte Pfade: man ist gezwungen an die Dinge innovativ und improvisierend heranzugehen.

Aller Anfang ist schwer, das fand auch Ingo Diehl bald heraus. Seine ersten Versuche im neuseeländischen Backgewerbe gingen nicht „I DEAL“ aus. Die Neuseeländer – damals sicher mehr als heute – wollten ihm seine guten deutschen Backwaren einfach nicht aus der Hand reißen, denn Gebäck aus Roggenmehl und Sauerteig kannten sie nicht, und was der Bauer nicht kennt, frisst er bekanntlich nicht. Damals, so Ingo, „drohte der Traum zum Albtraum“ zu werden. Doch seine Hartnäckigkeit, und vielleicht auch eine Portion hessische Sturheit haben ihn nicht aufgeben lassen. Mit der Zeit erschloss er sich eine treue Klientel großteils unter den mitteleuropäischen Einwanderern im Raum Auckland. In seinem Laden hört man entsprechend viel polnisch, russisch und natürlich auch deutsch. Ingo lässt es sich auch nicht nehmen, alte Bekannte mit einem herzlichen „Guten Tag“ zu begrüßen, und seine Backroutine zum kurzen Tratsch zu unterbrechen. In weniger hektischen Momenten gewinnt die Backstube dadurch etwas von einer informellen Infobörse zwischen Ingos deutschsprachigen Kunden, und auch zwischen Ingo und dem einen oder anderen Neuankömmling. Bis dahin war es allerdings ein langer Weg, und nicht nur die Kundschaft musste erst überzeugt werden. Vorgefertigte Backmischungen, wie Diehl sie aus Deutschland kannte, gab und gibt es in Neuseeland nicht. Also musste er zurück zu den Ursprüngen und zum Beispiel seinen eigenen Sauerteig ansetzen. Bei anderen typisch mitteleuropäischen Zutaten wie der Lauge mit der man die Brezeln und Laugensemmeln bestreicht, damit sie die charakteristische Bräunung erlangen, blieb sogar nichts anderes als der Import aus Deutschland, nachdem die neuseeländische Gesundheitsbehörde feststellte, dass sie nicht das Wohlergehen der Kiwis gefährden würde. Aus Deutschland stammt auch der wuchtige Miwe Backofen, noch mit vierstelliger Postleitzahl auf der Herstellerplakette, der auf sein Alter schließen lässt. Und der sollte besser halten, denn einen Reparaturservice dafür gibt es – natürlich – nicht. Großmärkte mit Bäckereizubehör: in Neuseeland ebenfalls Fehlanzeige; jede Kleinigkeit, die einen Bäckerladen ausmacht, muss einzeln ausfindig gemacht werden. Trotzdem, oder gerade deshalb hat Ingo Diehl seinen Platz in Neuseeland etabliert: seine Bäckerei ist sein selbst geschaffenes Königreich, und es ist einmalig.

Was Ingo an Neuseeland eigentlich am meisten nervt, frage ich dann noch – in miesepetriger, deutscher Herumstocherei. Weggucken, zögern, nachdenken … eigentlich nichts. Naja, oder doch, die neuseeländische Unart sich gegenüber Neuem, Besseren erst mal zu sperren. Auch ich habe das kennen gelernt. Wenn „man“ – zumindest als nicht-englischer und nicht-amerikanischer Ausländer – auf eine bessere Möglichkeit oder ein durchdachteres Produkt hinweist, kommt oft leicht beleidigt ein „Für uns war das immer gut genug“ zurück. Das nervt, und deshalb ist Ingo auch ganz froh, Herr im eigenen Laden zu sein, und nicht für einen Kiwi-Manager oder -Geschäftsmann zu schaffen.

Gegenfrage: und was wäre in Neuseeland am schönsten? Ohne Zaudern kommen hier die „Naturlandschaften“ zurück, und da sind sich – denke ich – fast alle Zuwanderer einig. Bei Ingo kommt natürlich dazu, dass sein Häuschen auf den Klippen von Torbay, im Norden Aucklands ihm natürlich zum Genießen der Küstenlandschaft täglich Gelegenheit bietet. Es zahlte sich eben aus frühzeitig da zu sein, bevor Häuser in Auckland fast unerschwinglich wurden. Und auch was den ganzen Einwanderungsprozess angeht, ist Ingo froh, ihn hinter sich zu haben, denn mit all der Sortiereffizienz der heutigen Verwaltung war er annodazumal nicht konfrontiert.

Aber so gaaanz deutsch geht es bei Diehl auch nicht zu – Zugeständnisse an den Kiwiismus gibt es genügend. Zunächst einmal die Multikultitruppe an der Verkaufstheke, die wohl damit zu tun hat, dass Ingo seine zweite Ehe mit einer Partnerin aus dem Reich der Mitte einging. Und dann noch all die Backexperimente. Für den Durchschnittskiwi unterscheiden sich verschiedene Arten von Brot dadurch, dass sie eigentlich alle auf weichem Weißbrot basieren, aber mit verschiedenen Körnern, Oliven usw. garniert bzw. versetzt sind. Diese Idee findet in Ingos Backstube ebenfalls Anklang. Neben bekannter deutscher Backware finden sich zum Beispiel Brötchen mit untergemischten Knoblauchteilchen. Naja, meinen Geschmack trifft es nicht, aber darüber kann man sich bekanntlich trefflich streiten.

Verabschieden wir uns langsam, nachdem der Obolus an die deutsche Backnostalgie entrichtet ist – eine Brezel kostet immerhin mehr als einen Euro – und gucken uns auf den immer vollen Parkplätzen vor der Bäckerei um. Ein Benz aus den 80er Jahren, Steuer links, also ein deutscher Import, mit Kennzeichen „I DIEHL“: Ja, der Mann hat sich sein Ideal geschaffen und bringt uns Exilanten wie auch vielen Einheimischen kurze Heureka-Momente ins Alltagsleben. Lang soll er leben, mit seinen 67 und einigen glücklich überstandenen Herzproblemen, und noch viele Jahre für uns backen. Und der Nachfolger steht auch schon am Start, Moritz Löser, ein zünftiger Stuttgarter Bäckergeselle, den die Abwesenheit von Bratwurst und Bundesliga nach mehreren Monaten noch immer nicht vertrieben hat, der fleißig neben Ingo bäckt und der die Tradition, die Diehl ins Leben gerufen hat, in irgendeiner Weise vielleicht einmal übernehmen wird … wir werden sehen und ich werde berichten.

Diehl’s Bakery findet man in 5/65 Hillside Road, Wairau, Abfahrt Tristram Avenue von der SH1 nördlich der Auckland Bridge. Er öffnet Mittwoch bis Freitag von 7:00 bis 15:00, und am Samstag von 7:00 bis 13:00. Ingo Diehls Laden ist im Telefonbuch zu finden und nimmt auch Bestellungen entgegen. Vor allem samstags ist die Theke oft schon am späten morgen leer geputzt, und man will ja nicht umsonst gekommen sein. Meine Lieblinge sind die Apfeltaschen, das Mohngebäck, und die Berliner/Krapfen beim Kleinteiligen, und der Gassenhauer bei den Broten.

Wir wollen es hier aber mit unserem Programm halten und nicht einseitig Infomercial machen. Deshalb: viele Deutsche schätzen neben Diehl auch die italienische Brotpalette, die bei „Pandoro“ zum Beispiel in der Queen Street und in Parnell zu haben ist. Beliebt ist daneben noch das Angebot der Filialen von „Wild Wheat“, und das Roggenbrot von „La Tropezienne“ in der Kitchener Road in Milford . Pandoro und Wild Wheat lassen sich im Internet finden: www.pandoro.co.nz und www.wildwheat.co.nz.


One Response to SideTrack: I Diehl, oder der Herr der Brezelringe

  1. Roswitha sagt:

    hallo Herr und Frau Diehl,…haben 1994 und davor schon Kontakt gehabt, wir kennen uns ja aus Hanau. Wdie ist es euch so ergangen??? Leider konnte ich meinen Mann nie überzeugen, hier wegzu gehen. Nu ist es im Moment schon nicht so toll, hier in Europa zu leben ohne ständig mit dem krieg in der Ukraine konfrontiert zu werden und in Angst vor der Bedrohung von Putin und seinen Schergen um Krieg in Europa. Ich habe Angst, ist aber egal, ich hoffe, erlebe keinen Krieg.

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