SideTrack: Expedition nach Vanuatu


Die „tyranny of distance“ ist ein geflügeltes Wort, das vor allem in Australien aber auch Neuseeland ausdrückt wie sehr die große geografische Entfernung der beiden Länder vom europäischen Referenzsystem deren Identität geprägt hat, wie sehr diese Distanz aber auch z.B. wirtschaftliche Optionen einschränkt.

Diese Münze hat eine positive Kehrseite, nämlich die einmalig zentrale Lage Neuseelands im pazifischen Raum. Auckland sitzt wie ein Verteiler in Mitten wohlklingender, fast mystischer Destinationen: Tonga, Samoa, Rarotonga-Aitutaki (Cook Inseln), Fiji, Solomonen, und eben Vanuatu.

Vanuatu Karte (Quelle: CIA World Factbook)

Vanuatu Karte (Quelle: CIA World Factbook)

Im Moment herrscht zwar Hurricane-Saison, also suboptimale Reisezeit in die pazifischen Anrainer Neuseelands, aber das soll – zumal mich – nicht stören. Vanuatu war bis vor Kurzem für mich sowieso ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ich erwartete so etwas wie eine Expedition den Sepik-Fluß in Neuguinea hoch, ins malariaverseuchte Herz der melanesischen Kannibalenfinsternis 🙂

Daraus wurde nichts. Vanuatu erinnert mich viel mehr an heitere kreolische Inselstaaten, wie etwa die Seychellen (und dieses Gefühl wird durch die Allgegenwart von Reggae Musik, Bob Marley Emblemen, String-Bands, die so eine Art New Orleans Jazz spielen etc. noch unterstrichen). Ziemlich überraschend, positiv überraschend. Auch überraschend: Vanuatu definiert fast schon den Begriff „Traumstrand“. Vanuatu hat eine ehemals kriegerische und kannibalistische Kultur gegen viel Freundlichkeit, Höflichkeit und menschliche Wärme eingetauscht. Vanuatu strotzt aber auch förmlich vor Korruption, Vetternwirtschaft, Mismanagement und kleinen wie großen Betrügereien.

Bevor ich eine kleine Reihe von Artikeln zu Vanuatu auf unsere Seite stelle, hier eine verdichtete Einführung ins gänzlich unerwartete Thema.

Von den Neuen Hebriden nach Vanuatu

Statistische Daten zum Land lassen sich wie immer gut im CIA World Fact Book studieren. Dort lesen wir, dass auf Vanuatu etwa eine Viertel Million „ni-Vanuatu“-Ureinwohner leben, dass sich diese auf etwa 83 Inseln verteilen (von denen zwei Drittel unbewohnt sind), die eine Fläche von etwas mehr als 12.000 Quadratkilometern umfassen, also zusammengenommen etwas kleiner sind als Schleswig-Holstein. So winzig ist das Ganze also nicht.

Menschen haben Vanuatu schon vor tausenden von Jahren, und in Wellen immer wieder besiedelt, was die große Vielfalt der Völker, Kulturen, Sprachen und Traditionen des Archipels erklärt. Austronesier von Westen, die sogenannte „Lapita“ Töpferei mitbrachten wurden später von Siedlern aus dem polynesischen Osten verdrängt, bzw. vermischten sich mit ihnen. Im Straßenbild von Port Vila, der Haupt- und mit etwa 50.000 Einwohnern größten Stadt Vanuatus leben Menschen aus allen Teilen Vanuatus, und obwohl dunkle Haut und gekräuseltes Haar ‚afrikanischen‘  Typs dominant sind, enthalten viele Gesichter auch weichere polynesische Züge mit Anklängen an deren elegant gekrümmte Kieferknochen. Insgesamt summiert sich das in eine kreolische Erscheinungsvielfalt. Und so eine Varianz macht es auch sofort einfacher sich wohlzufühlen, denn im Grunde scheint nichts wirklich Undenkbar in diesem Land.

Vanuatu Menschenmenge am Sonntagnachmittag

Vanuatu Menschenmenge am Sonntagnachmittag

Aus der voreuropäischen Geschichte Vanuatus ist wenig gesichert bekannt. Es gibt viele Geschichten und Mythen, und einige davon werde ich demnächst in einer (wahrscheinlich) neuen Rubrik „Pasifika“ vorstellen. Aus europäischer Sicht schaffte Vanuatu es zum ersten Mal im Jahr 1606 in die Annalen, als spanische Entdecker Espiritu Santo anliefen und es für den postulierten südlichen Großkontinent hielten. Danach hatten die ni-Vanuatu erst einmal Ruhe, bis der berühmte französische Weltensegler Bougainville 1768 auftauchte, und kurz darauf der allgegenwärtige englische Kapitän Cook 1774 von dem es „New Hebrides“ getauft wurde, weil einige Felsinseln ihn an die alten, europäischen Hebriden erinnerten. Der Name hatte bis zur Unabhängigkeit von einer merkwürdigen französisch-englischen Zwitterkolonialherrschaft im Jahr 1980 bestand.

Vanuatu heute

So weit, so gut. Vanuatu ist also unabhängig … de facto aber nun doch nicht wirklich. Die regionale Großmacht Australien ist im Wirtschaftsleben sichtbar stark vetreten, vor allen was den Bankensektor angeht (Westpac, ANZ), den Handel mit Immobilien, sowie juristische und buchhalterische Dienstleistungen. Auch was Tourismus betrifft dürfen Australier und Neuseeländer das Gros ausmachen, und Touristen sind in Vanuatu neben dem Export von Agrargütern, „Offshore Banking“ (also Steueroasentum, Geldwäsche) und Entwicklungshilfe die bedeutendste Einkommensquelle. Unwichtig dagegen ist die Fischerei geworden, denn Vanuatu hat umfangreiche Fischereirechte in seinen Gewässern an die Volkrepublik China verkauft, offenbar ohne australische Gegenwehr – Australien wollte wohl den guten Rohstoffkunden China nicht verprellen. Chinesen kontrollieren ebenfalls zu – schätze ich – 80% den Handel in Vanuatu, während die Franzosen es geschafft haben ein paar Supermarktfilialen erfolgreich zu betreiben, viele Restaurants und Hotels führen, und sich aus Angst vor einer möglich Unabhängigkeit der benachbarten französischen Provinz Neukaledonien schon mal ein Haus oder Grundstück sichern.

Vanuatu Phocea beschlagnahmte Superjacht irgendwelcher Ganoven

Vanuatu Phocea beschlagnahmte Superjacht

Was bleibt den ni-Vanuatu? Wie erwartet Politik, Bürokratie, Polizei etc. und – für etwa zwei Drittel der Bevölkerung – das Leben von einfachem Subsistenzackerbau, Viehzucht, Kleinfischerei usw. Das Gefühl, dass das ausreicht um den 98,5% der Bevölkerung melanesischen Ursprungs die reale Macht im Land zu sichern hatte ich gleichwohl nicht. Aber erste Eindrücke mögen täuschen.

Vanuatu im Alltag

Wie gesagt, die im Pazifik nicht unübliche Arbeitsteilung zwischen anspruchsvollen Tätigkeiten, die vielfach von Ausländern ausgeübt werden, und einem Heer an Bauern, Dienstmädchen, Fahrern, Hilfsarbeitern usw. das sich aus der angestammten Bevölkerung rekrutiert. Ganz wohl ist mir dabei nicht zu Mute, andererseits beobachte ich aber auch eine eingeborene Einstellung zu materiellen Gütern (elektronische Gadgets wie Smartphones etc sind besonders begehrt), die deren Erhalt nicht mit der Notwendigkeit gewinnbringender Arbeit korreliert. Diese Haltung ist in Form eines Cargokultes sogar zu einer Religion formalisiert worden: Güterbeschaffung durch Zauberei, nicht Arbeit! Eine abschließende Meinung zu Thema „Wie es ist, und wie es sein sollte“ erlaube ich mir allerdings nicht, denn ich habe auch Gegenbeispiele von ni-Vanuatu kennengelernt, die sich bewusst auf den europäischen Wertekanon eingelassen haben, nur um enttäuscht zur dörflichen Selbstversorgung zurückzukehren.

Ansonsten ist im Kuddelmuddel von Vanuatu nur eines alltäglich glasklar: die Preise sind erschlagend hoch 🙁 … Warum, dazu komme ich noch, in einer zukünftigen Story. Auch klar ist, dass die meisten ni-Vanuatu mit einer kindlichen Herzenswärme gesegnet sind, die ebenso schnell in aggressive Habsucht umschlagen kann, wenn es etwas zu haben gibt. Das Thema Frauen- oder gar Schwulenrechte erwähne ich hier nur einmal und abschließend: existieren für Frauen nur rudimentär, und für den Rest gar nicht. Frauen sind gut beraten sich in dieser männlich geprägten Gesellschaft nicht ohne männlichen Begleiter unters Volk zu mischen, oder es kann zu Missverständnissen kommen.

Vanuatu für Touristas

Dazu wird es einen extra Artikel geben in dem ich ein wenig an der Oberfläche der Insel Efate kratzen werde. Wasser in allen erdenklichen Farben wird die Hauptrolle spielen, so viel vorab. Vorweg auch schon die Warnung an alle Frühplaner bloß nicht die Tourenvorschläge der Reiseführerbibel „Lonely Planet“ Ernst zu nehmen. Die führen von einem dämlichen Resort zum nächsten, und bringen nichts als erstaunte Frustration.

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Es wird in Bälde ein paar Artikel zu Vanuatu geben, und vielleicht sogar einer neue Sektion „Pasifika“, die die Inhalte zu Maoritheman, Tonga und Vanuatu vereinen wird. Das ist gerade in redaktioneller Diskussion 🙂

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