Guests@NZ2Go: Leben in einer neuseeländischen Kleinstadt – Hennings Rotorua


Wenn es etwas gibt, von dem ich keine Ahnung habe, dann ist es das Leben in einer Kleinstadt oder gar auf dem Land – obwohl ich mir das natürlich sehr romantisch und überschaubar vorstelle, bevor ich wieder mit wohligem Gruseln in die Lichter der Großstadt eintauche. Ein paar Wochen lebte ich tatsächlich Mal in einem typischen Kiwi country town, in Palmerston North, etwas nördlich von Wellington, aber die Erinnerungen sind längst vergilbt und gründlich von der anschließenden, sehr sehr aufregenden Zeit in Sydney überdeckt.

Gut also, dass es Henning gibt, deutscher Landsmann mit internationaler besserer Hälfte, und einem leibhaftigen Job bei und Domizil in Rotorua (of all places). Ihr wisst schon, schwefelgelbe heiße Quellen, Maori usw. Henning ist meiner Bitte nachgekommen mein JAFA-Blog mit authentischem Kiwi lifestyle anzureichern – here we go – und schon vorweg ein großes Dankeschön für die Mühe und die unbedingte Empfehlung Hennings eigene Neuseelandseite zu besuchen, die kreativ zweisprachig ist …geradezu ansteckend  😯

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Peter@NZ2go hat mir angeboten, ein wenig Text zu seinem informativen Neuseeland-Nachschlagewerk (= Blog) beizutragen, und dem komme ich natürlich gerne nach: Um meine derzeitige Heimatstadt Rotorua soll es gehen!

Diese Kleinstadt im Herzen der Nordinsel war die Aussicht, die mich und meine Freundin erwartete, nachdem ich in der umliegenden Region Arbeit gefunden hatte. Wir schwankten zwischen Rotorua und Taupo, da beides ungefähr gleich weit weg von meinem Arbeitsplatz gewesen wäre. Schließlich habe ich aber ersterem den Vorzug gegeben; ich hatte beide Orte vorher besucht und mag den „zweiten See“ (so der übersetzte Name) mehr als Taupo, das ich von Touristen hoffnungslos überbewertet und relativ langweilig finde, zudem ist Rotorua etwas größer und hat daher auch m. E. etwas mehr zu bieten. Bekannt ist die ~55.000-Einwohner-Stadt für ihre Maori-Kultur und die Geothermalquellen sowie dem damit allgegenwärtigen Schwefelgeruch, den man aber spätestens nach ein paar Tagen nicht mehr wahrnimmt. Neben diesen offen beworbenen Fakten steckt allerdings einiges mehr in diesem ruhigen Örtchen in Kiwiland, wie ihr gleich sehen werdet!

Nach nun fast einem Jahr sind wir noch immer hier – und das trotz Warnungen von älteren Kiwis von der Südinsel, die mit ernster Miene proklamierten, es wäre hier „rough“ und „the Maori own it, better move somewhere else“. Da ist sicher auch ein Fünkchen Wahrheit drin, denn Rotorua ist diejenige Stadt in Neuseeland mit der größten Maori-Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl, aber wie bei allem im Leben sollte man mindestens zweimal hinschauen. Zunächst einmal gibt es, mal abgesehen von einem kleinem, versteckten Ortsteil namens Tihiotonga in dem ausschließlich Gutverdiener residieren sowie der (gehobenen) Mittelschichtsenklave Lynmore per se keine „guten“ und „schlechten“ Viertel. Will man diese Einteilung machen, so muss man unter Umständen per Straßenabschnitt (nicht per Straße!) katalogisieren. Als wir auf Eigenheimsuche waren, fanden wir schnell heraus, dass die Stadt ein enormer Flickenteppich an Wohnqualität ist: Stehen bei Hausnummer 5 und Umgebung schicke Ziegelhäuser mit neuer Einfahrt, Garage und gepflegtem Garten an den Straßenrändern, so kann das bei Hausnummer 30 schon ganz anders aussehen: Ungemähter Unkrautsteppe, Farbe blättert ab und auch sonst sieht alles eher abschreckend aus. Ich weiß nicht, ob das in anderen Kleinstädten Neuseelands auch so extrem ist, aber man sollte das zumindest im Hinterkopf behalten.

In einem Expatforum für Briten, die es auf ihrer Insel satt hatten und nun auf eine weit entfernte, aber recht ähnliche Insel mit ähnlichem Staats- und Rechtssystem ziehen wollen, wurde vor Maori-Gangs in den „Fordlands“, einem Ortsteil im mittleren Westen Rotoruas, aber auch vor anderen Stadtteilen gewarnt. Manch einer behauptet sogar, alles westlich von der Old Taupo Road – welche eine von zwei Hauptstraßen ist, die die Stadt quasi in drei Teile teilt – solle man meiden, insbesondere als Nicht-Einheimischer. Dass das Blödsinn ist, versteht sich im international verhältnismäßig kriminalitätsarmen Neuseeland fast von selbst. Wie in anderen Städten oder anderen Ländern gilt auch hier: Wer Ärger sucht, der findet ihn, und umgekehrt. Wir hatten nie Probleme, und sofern man sich nicht grundlos länger in offensichtlich sozial schwächeren Ortsteilen aufhält und mit dem Finger auf die Mongrel Mob-Mitglieder zeigt, glaube ich kaum, dass man als europäischstämmiger (oder auch von wo anders her stammender) Einwanderer schnell in Schwierigkeiten landet.

Ein Grund, der definitiv für Rotorua spricht, sind die – im Landesvergleich – doch recht günstigen Lebenserhaltungskosten. Das bestätigt auch ein zwei Jahre alter Artikel der Rotorua Daily Post, wo der Vergleich allerdings nur mit Tauranga, Hamilton und Auckland gezogen wurde. Nachdem ich aber einige Zeit durch Neuseeland gereist bin und zumindest Lebensmittel- und Benzinpreise vergleichen konnte, weiß ich, dass Rotorua den Geldbeutel schont. Auf der Te Ngae Road, die Rotoruas östlichen Siedlungsarm erschließt und nach Te Puke bzw. Whakatane führt, gibt es drei Tankstellen, die mit Sicherheit zu den günstigsten im Land gehören: Zum Höhepunkt der Ölkrise ungefähr im Januar 2015 war der Liter Normal für spektakuläre 1,53 $ zu erwerben, während die Preise anderswo um die 1,75 $ lagen – als Pendler im Autofahrerland Neuseeland ein entscheidender Faktor. Ähnliches trifft auf Lebensmittel zu: Natürlich nicht auf jedes Produkt, aber wenn Butter im Angebot ist, kann sie schon mal 2,90 $ kosten, das günstigste Brot ist für 0,95 $ zu haben und hin und wieder kann man einen Liter Saft für 0,99 $ erwerben – unverschämt günstig in diesen Breitengraden! Rotorua besitzt einen Pak ’n Save, zwei Countdown-Filialen (eine weitere ist wohl im Bau an der Old Taupo/Fairy Springs Rd) sowie einen New World, es ist also für Jeden was dabei. Die Immobilienspreise sind ebenfalls nicht zu verachten: Wo man in Auckland für eine halbe Million ein eher durchschnittliches altes Haus bekommt, kann man mit der Menge Geld in Rotorua ein sehr geräumiges, modernes und wohlgepflegtes Haus mit Garten und Garage erwerben. Das geht mittlerweile soweit, dass Aucklander hier Häuser kaufen, um diese zu vermieten und dann mit der Miete wiederum ihre Unterkunft und anderes in Auckland zu finanzieren … verrückte Welt, diese Godzone!

Kiwi as ... Rotorua Shopping in der Central Mall (c) unterkiwis.de

Kiwi as … Rotorua Shopping in der Central Mall (c) unterkiwis.de

Aber nicht nur als günstiger Wohnort, sondern auch mit seiner Lage kann Rotorua punkten. Sehr zentral auf der Nordinsel gelegen, ist der Weg zu vielen größeren Städten nicht weit. New Plymouth und Palmerston North lassen sich in knapp 4, Napier/Hastings und Auckland lassen sich in guten drei und Tauranga sowie Hamilton in einer bzw. anderthalb Stunde(n) erreichen: Das bietet Möglichkeiten für Nordinselausflüge, für die man von Auckland oder Wellington aus durchaus schon mehr als nur ein Wochenende veranschlagen muss. An Aktivitäten mangelt es auch grundsätzlich nicht: Gondel- und Kartfahren am Mt Ngongotaha, Vögel beobachten, in den Redwoods spazieren, am Wasser grillen, angeln und schwimmen, Mountainbike fahren, weniger als eine Stunde zu einem der schöneren Seen im Osten fahren, jagen oder aber mehr über die Maori-Kultur erfahren: Rotorua got you sorted. Naja, meistens zumindest: Ein Auto braucht man definitiv, die wenigen öffentlichen Busse kommen nur alle 30 Minuten und klappern nur das eigentliche Stadtgebiet, aber nichts darüber hinaus ab, und ab 6 Uhr abends ist Sense – allerdings nicht nur für den Bus. Die Kehrseite der Medaille ist, dass ab dem frühen Abend nichts mehr in der Stadt los ist; für Menschen im mittleren Alter wohl nicht unbedingt ein Problem, für die Jugend aber sehr wohl. Unternehmungen bieten sich überwiegend nur im Freundeskreis an, ansonsten kann man eine der wenigen Bars aufsuchen, die aber mit Ausnahme der „Lava Bar“ im Base-Hostel auch hauptsächlich Ü30-Publikum aufweisen dürften (bitte nicht negativ auffassen!).

Zum Einkaufen gibt es eine kleine Mall, die grundsätzlich alles Notwendige zum Leben bereitstellt – für mehr Auswahl und gewisse Artikel kommt man aber um einen Ausflug nach Hamilton oder Tauranga nicht herum. Da die Stadt ein beliebtes Ziel für Touristen ist, gibt es auch genug Gaststätten (Schnellkostketten, -imbisse und Fish ‚n’ Chips-Läden zähle ich hier nicht dazu), diese haben aber ihre Preise auf ein dementsprechendes Niveau angesetzt; Essen gehen ist hier somit im Schnitt teurer als in z. B. Auckland, da es nur sehr wenige Lokalitäten gibt, deren Zielkundenkreis die Lokalbevölkerung ist – auch die Qualität kann leider häufig nicht mit den Großstädten mithalten. Wo wir gerade bei Touristen sind: Aufgrund seiner Fülle an Motels, insbesondere an der Fenton Street, wird die Stadt auch gerne „Rotovegas“ genannt – einige Unternehmen haben den Begriff ebenfalls übernommen. Sicherlich nicht für jeden relevant, aber ich möchte es dennoch lobend erwähnen: Rotorua besitzt eine ausgezeichnete Bibliothek, deren Mitgliedschaft für jeden Anwohner – mit Anschriftsnachweis – gratis ist. Dazu entstehen für das Ausleihen der meisten Bücher und Musik-CDs keine Kosten, es finden regelmäßig Veranstaltungen statt und alle üblichen Dienstleistungen (Internet, drucken, kopieren) sind natürlich auch verfügbar.

Tja, und wie sieht es mit der Arbeit aus? Leute, die aus der Forstwirtschaft, dem Handwerk und der Gastronomie/dem Hotelgeschäft kommen, haben gute Karten – alle anderen eher weniger. Zwar gibt es Unmengen an Fachgeschäften, einige kleine Unternehmen und sogar eine Universität, aber die Mitarbeiterzahlen sind vermutlich im Großen und Ganzen überschaubar. Pi mal Daumen würde ich sagen, einfache Jobs finden sich recht leicht, spezialisierte, solange man nicht im besagten Handwerk ist, eher schwierig. Ich schätze, dass sowieso niemand einfach hier ohne Job herziehen würde, aber falls doch: Schaut euch frühzeitig um. Die Wirtschaftslage in der Bay of Plenty ist mit Ausnahme von Tauranga momentan eher bescheiden, nicht umsonst liegen zwei von Neuseelands ärmsten Städten (Kawerau und Murupara) in dieser Region.

Hmm, wie sieht das Plädoyer aus? Rotorua liegt irgendwo zwischen den Welten, weder reich noch arm, aber mit einer Tendenz, den einfachen Mann zu bevorzugen, welcher es ebenso mit der Stadt hält. Man kann sich hier wohlfühlen und gut leben, muss aber die Natur lieben und mit Einschränkungen klarkommen. Im Gegensatz zu Auckland bekommt man hier „richtiges“ Kiwileben zu spüren, denn obwohl es die zehntgrößte Stadt des Landes ist, ist sie doch mit ihrer geringen Größe nur ein Schatten der nahegelegen großen Brüder Tauranga und Hamilton. Ihr wisst jetzt also, worauf man sich einlässt – ich persönlich vermisse die Großstadt und werde wohl in den nächsten Jahren Ausschau nach einem anderen Wohnort halten, aber selbst nach dem Wegziehen Rotorua in positiver Erinnerung behalten, denn bisher hat mich dieser Ort gut behandelt!

Andere Neusiedler, die in Rotorua ansässig sind, dürfen gerne ihren Senf dazugeben (eine deutsch-neuseeländische Familie sowie ein weiteres Paar habe ich bereits getroffen). Auf meinem Blog Unter Kiwis wird es wohl in Zukunft noch ein paar Rotorua-spezifische Beiträge geben, also haltet bei Interesse die Augen offen. Man liest sich!

Rotorua bei Nacht ... immerhin (c) unterkiwis.de

Rotorua bei Nacht … immerhin (c) unterkiwis.de

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Prima, das ist doch was. Echte Information, von einem echten Menschen. Vielen Dank, Henning.

Das mit der Inhomogenität der „Klassen“ kann ich übrigens für Auckland bestätigen. Ja, der North Shore ist fast durchgängig reich (Beach Haven aber wiederum nicht) und Manukau arm, aber im Rest gibt oft auch einen sozialen Flickenteppich, mit einer Granularität von manchmal nur wenigen Häusern. Es spricht für Neuseeland, dass die Durchmischung noch immer existiert und weitgehend funktioniert.  Leben und leben lassen. Hoffentlich bleibt es noch lange so.


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