Opinion: Deutsche Neuseelandbilder


Unter der Rubrik ‚das regt mich auf‘, heute wieder ein Ärgernis in der deutschen Presselandschaft zum Thema Neuseeland, und dazu noch in der altehrwürdigen Tante FAZ in Gestalt des Artikels: ‚Warum tragen Sie ein Tattoo im Gesicht, Herr Kopua?‘ von Sandra Kegel (24.09.2012).

Ist übrigens schon mal aufgefallen was für eine Geschlechterasymmetrie im deutschsprachigen journalistischen Neuseeland-Fach herrscht? Allein das wäre einen Artikel wert, mit allerlei flach-psychologischen  Betrachtungen, aber der o.g. FAZ-Artikel reicht eigentlich als Aufreger des Tages 🙂

Los geht es im Startparagrafen. „Lamington Cakes“ sollen irgendwie Ur-Kiwi sein. Meines Wissens eine australische Kreation, deren übertriebene Süße mich daran erinnert wie es ist in einer italienischen Großfamilie (gab es früher Mal) eingeladen zu sein, fast zu platzen und dann noch überzuckertes Gebäck als Nachtisch herunterzudrücken. Man will ja ums Kotzen kein Spielverderber sein. Lamingtons, also gut, meinetwegen. Neuseeländisch genug. Lasst aber die Finger von den Lamingtons in den appetitlichen Plastikdosen bei Pak’n’Save, New World & Co, oder das mit dem Kotzen wird grausame Realität.

Die Ausführungen zum ‚maorischen Tattoo‘ – hätte es Maori Tattoo nicht auch getan? – sind interessant, obwohl sie nie in die Tiefe gehen, sondern einen linearen Fragenkatalog abarbeiten. Spannend wäre es gewesen zu erfahren, worin sich denn spezifisch männliche und weibliche Tattoos unterscheiden, und wo die ‚unterschiedlichen Qualitäten‘ von Mann und Frau im Maori Weltbild liegen, das Mark Kopua anspricht. Aber auch das geschenkt. Wahrscheinlich wäre die Antwort unerfreulich, und die Autorin wird es wohl erahnt haben.

Dann allerdings das scheinbar Unvermeidliche: das Abgleiten in die Schuld- und Unrechtsdebatte, mit all den herrlichen Untertönen von Rassismus, Kolonialismus usw. *ächz* – kann das denn nicht EINMAL ausgelassen werden? Bitte?

Anscheinend nicht. Gleich danach der logische Salto Mortale. Herr Kopua als Vertreter mystischer Maori Traditionen umschifft geschickt das Thema der ganz untraditionellen Kommerzialisierung des Tattoo-Geschäfts, die er gerne eingesteht, und die anscheinend nicht alle Maori gut finden, mit Hinweis auf den allgemeinen Verfall von Sitten und Moral, die sich aus dem Zusammentreffen von Maori und „Pakeha“ (europäischen Einwanderern) ergeben hat. Oder die zumindest zu einer rational nicht nachvollziehbaren Dünnhäutigkeit unter Maori führte, an der Mark Kopua nun zu leiden hat.

Immerhin, das Stichwort „kirituhi“ fällt, als irgendetwas, das auch nicht-Maori tragen können, ohne negativ aufzufallen. Leider erfahren wir nicht, was kirituhi eigentlich bedeutet. Für die Interessierten: hier. Warum ist „kirituhi“ plötzlich keiner Erklärung wert? Weil mit Rassismus, Kolonialismus etc. die Stichworte gefallen sind, mit denen wohl jeder Schreiber der Neuzeit etwas anfangen kann. Es geht in die Vollen. Mark Kopua behauptet, dass das Waitangi-Tribunal in dem Ansprüche der Maori gegen die ‚Krone‘, also den neuseeländischen Staat verhandelt werden ein Laberladen ist, der den Maori nichts Sinnvolles liefert. Seine Nachbarn, die Tuhoe, und der Großteil der Südinsel-Maori vom Stamm der Ngai Tahu, die Entschädigungsverträge über mehrere hundert Millionen Neuseelanddollar unterzeichnet haben, könnten das anders sehen. Ähnlich eindimensional die Aussage, dass sich ‚manche‘ Pakeha den Maori gegenüber genauso schlecht verhalten wie ‚früher‘ und damit die Verantwortung für die mittelmäßigen Rassenbeziehungen tragen. Kein Wort zu den hohen Kriminalitätsraten der Maori, primär untereinander, aber auch was gewalttätige Übergriffe auf „Pakeha“ betrifft. Zu meinen ersten Erinnerungen in Neuseeland 1989 zählt die Mongrel Mob Rezitation „… kill a honkey every day, fuck a honkey every day … “ also die Aufforderung – wie bei Pfadfindern – jeden Tag einen Weißen zu töten oder zu vergewaltigen. „Honkey“ ist ein Schimpfwort für Weiße. Diese Kurzsichtigkeit mag bei einem Maori-Tattooisten durchgehen, aber … hmmm … liefert durch undifferenzierte Wiedergabe, bzw. Mangel an Hinterfragen wieder ein einseitiges, stark vereinfachtes Bild Neuseelands in den deutschen Medien, das so unnötig wie vorhersehbar ist.

Was mich außerdem irritiert ist die – auch im vorliegenden FAZ-Artikel praktizierte – Ausklammerung der Bevölkerungsgruppen, die weder Maori noch ‚Pakeha‘, noch Maori-Pakeha Mischlinge sind, also der Asiaten, Araber, Inder usw. die in den letzten Jahren in Neuseeland zu zehntausenden eine neue Heimat gefunden haben. Sie passen nicht ins simple bipolare Schema, und deshalb diskutiert man sie einfach nicht. Merkwürdig bei der alten Tante FAZ, die sonst so pflichtbewusst den Multikulturalismus besingt. Warum sollen Inder, Chinesen, Koreaner zum Beispiel mit ihren Steuergeldern für Waitangi-Auszahlungen aufkommen, für Probleme, die weder sie noch ihre Vorfahren zu verantworten haben? Könnte eine interessante Diskussion sein.

Warum klopfe ich ausgerechnet auf diesem Artikel herum? Andere sind noch schlimmer, stimmt, aber er ist typisch genug, und irgendwann nervt es dann hinreichend. Ich lese selten etwas Ernstzunehmendes zu Neuseeland in deutschen Medien. Bei der FAZ etwa war der Artikel ‚Wen jucken denn noch Bücher?‘ von Andreas Platthaus, der allerdings inzwischen zum Bezahlartikel mutiert ist, eine Ausnahme. Er beleuchtet die zweispältige Art mit der Neuseeland seine Ehrengastrolle auf der Frankfurter Buchmesse ausfüllt, nämlich mit einer Betonung auf Wein, Kulinarisches, und – äh – Maori-Romantik, und weniger auf seine stolze literarische Tradition (Janet Frame, Frank Sargeson, und viele mehr). Neuseeland als ein Land, das sich anscheinend nur noch zutraut als Spaßdestination wahrgenommen zu werden, das man andererseits aber durchaus Ernst nimmt, und deswegen einen gewissen intellektuellen Standard einfordert.

Mehr Platthaus, weniger Kegel, bitte!


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