Taonga: Te Rapunga, die dunkle Sonne (1)


In meiner Geschichte zu Somes Island, der berüchtigten Verbannungsinsel für in Neuseeland lebende Deutsche während des Ersten und Zweiten Weltkriegs ging ich kurz auf einen gewissen Georg Dibbern (1889 – 1962) ein, der wohl als einziger Deutscher beide Kriege auf der Insel zubrachte.

Kann Zufall sein, dass er sich gerade zu der Zeit immer in Neuseeland herumtrieb, oder vielleicht doch nicht? Und warum sollte uns das überhaupt interessieren?

Nun Ja, der Nexus Deutschland – Neuseeland ist Thema des Blogs, und wenn ich mir den Ping-Pong Dibberns zwischen Deutschland, Neuseeland und Australien betrachte – dann erinnert er mich glatt an mich selbst, und das macht neugierig. Wie hat man sowas damals gemacht, ohne Flugzeug und Internet? Was hat Dibbern angetrieben, und was haben er und sein Leben uns heute vielleicht noch zu sagen?

Gott sei dank hat Georg es zu einer sehr engagierten – posthumen – Biografin gebracht, Erika Grundmann, die Sachwalterin des intellektuellen Erbes von Dibbern. Sie hält die Rechte an Dibberns einzigem literarischen Opus „Quest“, 1941 im Original auf Englisch erschienen, und hat dieses Werk und zusätzliche Quellen zu der umfangreichen Biografie, „Dark Sun – Te Rapunga, and the Quest of George Dibbern“ verarbeitet.

Nichts wie gelesen …

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Anfänge

Wie Biografien nun mal so sind, beginnt auch diese bei Geburt, Kindheit, Familie. Georg wuchs als echtes Nordlicht auf, segelte früh und viel an Nord- und Ostsee, und verwandte wenig Zeit für Schulisches. Der Vater, auch Seemann, starb jung an den Folgen von Malaria, was Georg „… von Frauen umgeben …“, seiner Mutter und seinen zwei Schwestern, aufwachsen lies. Wegen Asthma und einer generellen Schwächlichkeit siedelte die resolute Witwe mit ihrer Kinderschar nach Sizilien um, wo Georg seine ersten wir würden heute sagen multikulturellen Erfahrungen machte, und italienisch lernte. Das Abitur sollte dann aber doch deutsch sein, und 1907 wurde es das auch, leider zur selben Zeit als die Mutter dem Krebs erlag.

Dolce Vita in Syracusa, Sizilien - nicht ganz passend, aber schön :-)

Dolce Vita in Syracusa, Sizilien – nicht ganz passend, aber schön 🙂

Danach begann das wirkliche Leben des Georg, und es sollte nicht ins deutsche Schema der damaligen – oder auch unserer Zeit – passen. Die „Lehre“ als Schiffsjunge auf einer Chile-Route mag noch angegangen sein, aber als er auf einer späteren Fahrt nach Australien unzeremoniell „jumped ship“, also abhaute, waren die Stränge des Gewöhnlichen endgültig durchtrennt.

Australien, Neuseeland, und die Südsee

Interessanterweise gibt es Parallelen, emotional und geografisch, zwischen meinem eigenen Driften nach Australien, und Dibberns. Wir schlugen beide in Sydney auf, mit fast keinem Geld. Die „authorities“, also Behörden, zeigten sich uns gegenüber menschlich und fair. Georg Dibbern wurde als illegaler Einwanderer von der Polizei aufgegriffen, die ihn allerdings einfach wieder laufen lies, aus einer in Australien tief verwurzelten Empathie für den kleinen „battler“, dem „fair go“ Ethos. Bei mir machten die Einwanderungsbehörden an allen Ecken fette Ausnahmen, um mein kurzzeitiges Arbeitsvisum zu verlängern. Nicht weil jemand das tun musste, sondern weil jemand Herz und Verstand in Balance hielt.

Das etwas angekratzte Nobelhotel der Blue Mountains, das Hydro Majestic, westlich von Sydney bot Dibbern eine zeitlang Heimstatt und Einkünfte. Ich verbrachte dort ein paar romantische Momente am Kaminfeuer mit meiner damaligen australischen Freundin, und niemand belästigte uns mit irgendwelchen Fragen nach Tee oder Kaffee. Draußen stand der hässliche Kombi mit der Aufschrift „Department of Physics and Astronomy, University of New South Wales“, den ich an dem Tag leihen durfte, und fast geschrottet hätte. Glorreiche Zeiten!

Später versuchte Georg als Taxifahrer Fuß zu fassen, und übte im ehrwürdigen Centennial Park, den ich während meiner Zeit in Sydney, besser gesagt in Randwick und Clovelly, oh so oft durchquerte.

Nachdem sich Georg die ersten Hörner in Australien, mit Intermezzo in Neuseeland, abgestoßen hatte, kehrte er an Bord eines Dampfers kurz nach Deutschland zurück, und … passte nicht mehr wirklich dort hin. In „Dark Sun“ heißt es (S. 52):

‘What a trial I must have been to that skipper, with my new-found colonial independence — and believe me I made full use of it’

Es ist tatsächlich so, dass man Freiheit, wenn man sich einmal an sie gewöhnt hat, nicht mehr los lassen kann, sogar wenn man es wollte. Ich erlebte es genauso, und bin seit meinem ersten Ausflug nach Australien, Neuseeland und die Südsee nie wieder vom Duft antipodischer Weite und Abenteuer los gekommen. Deutschland reicht dann einfach nicht mehr, auch wenn das Land viele andere, meist praktische Vorteile haben mag.

Wie auch immer, unser Georg hatte Pfeffer im Gemüt, und passte nicht mehr nach Deutschland mit seiner Struktur, und der ständischen Ordnung, die einem geborenen ‚Quereinsteiger‘ zumindest in Dibberns gewohntem bürgerlichem Umfeld wenig Gelegenheiten bot. Also nichts wie zurück nach Sydney, und auch hier Parallelen zum eigenen Streunen. Als ich nach ein paar Jahren Australien und Neuseeland Anfang der 1990er kurz nach Deutschland zurückkehrte, merkte ich sofort wieder warum ich es verlassen hatte. Mir machte das Geordnete und scheinbar Unabänderliche in Deutschland schon fast Angst, und ich fieberte der erneuten Abreise entgegen.

Jedenfalls kam Dibbern 1911 wieder in Australien an, im Gepäck eine geniale Geschäftsidee, auch das sehr sehr typisch für deutsche Auswanderer, die in Übersee durchdachte deutsche Produkte vermissen und meinen, dass sie einem bei Import sofort aus der Hand gerissen würden. In Dibberns Fall ging es um zerlegbare Kleinboote, und Nein, zum Millionär machten sie ihn nicht. 1912 ging es pleite nach Neuseeland zu einem alten Bekannten aus Hydro Majestic Tagen, der dort eine, wir würden sagen, Wellness-Industrie aufgebaut hatte und immer mit ein wenig Geld zur Hand war. Dibbern investierte in ein Taxi-Geschäft , das ihm zu Einkommen und lokaler Bekanntheit in der Region Napier-Dannevirke verhalf, und durch seine Transportdienste für die umliegend lebenden Maori vor allem auch in deren Orbit rückte. Seine guten Beziehungen zu den damals durchaus begüterten Maori-Clans sollte sich später noch als fast lebensrettend erweisen.

George Dibbern in Dannevirke, Neuseeland, 1917

George Dibbern in Dannevirke, Neuseeland, 1917

Zunächst aber verlor „German George“, wie er in der Gegend genannt wurde, die Lust am geschmeidigen Dasein als Kleinunternehmer, verkaufte alles, und löste ein Ticket nach Rarotonga in den Cook Inseln. Dort ‚warnte‘ ein erfahrener Südseereisender bei Ankunft Anfang 1914 (S. 54/55) vor dem Bann der Südsee:

„… When people like you arrive on these islands, their soul will know no peace. If you are here, you will yearn for the snow of your homeland. If you are there, you will long for the sunshine and the brown Paradise and Purgatory people of the South Seas. You will never again get the roar of the breakers or the rustle of the palms out of your head. And never will you forget the laughter of the brown girls …“

Zitierenswert, weil persönlich verifiziert. Die schillernden Farben, die archaischen Geräusche und Gerüche, die Unmittelbarkeit des Lebens sind der blanke Gegenentwurf zu der mehr oder weniger puritanischen Existenz, die die meisten von uns leben. Man behält die Möglichkeit des Anderen quälend schön immer vor dem inneren Auge.

Auf praktischer Ebene hilft beim Entdecken eines Landes Beherrschung der Sprache unendlich, und da Maori und die Sprache der Insulaner sehr ähnlich waren, konnte Georg schnell seinen ganz eigenen Südseetraum leben, in Form der unnachahmlichen Herzensweite seiner Gastgeber im Allgemeinen, und einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte mit der sicherlich entzückenden polynesischen Schönheit Maate Ite Po im Besonderen. Nun, zu polynesischen bzw. insularen Liebesabenteuern habe ich nichts zu sagen, Gentlemen genießen und schweigen bekanntlich 🙂 , und im übrigen haben die vielen Missionare über die Jahrhunderte ziemlich viel Prüderie ins Land gebracht, oder wie es ein Samoaner mit temporärer europäischer Nebenfrau einmal ausdrückte: „White girl good, many ways, Samoan girls only one way …“ … aaaber weil Erika Grundmann sich die Mühe macht die Hügel Roms, auf denen Georg und seine Südseeprinzessin freier Liebe frönten aufzuzählen, und sie so melodisch klingen, voilà: Ikurangi, Maungatea, Te Rua Manga.

Wäre unser Georg doch nur bei seiner Prinzessin geblieben, hätte Babys gemacht usw. Wir schreiben das Jahr 1914 und die Welt nähert sich dem Schatten von Tod und Zerstörung. Ganz überzeugend kann die Biografie die Gründe für Georgs Flucht aus dem Paradies zurück nach Neuseeland nicht erklären. „Sort out things“ würde man wohl sagen: Angelegenheiten klären, aber welche nur? Das Taxi-Geschäft war verkauft, Familie gab es keine. Ich nehme an, dass er einfach keine Lust hatte sich an eine Frau zu binden. Ob er sich später einmal gefragt hat, wie es wohl gewesen wäre eine deutsch-polynesische Dynastie in die Welt zu setzen? Ich kenne Leute, die sich ähnliche Fragen stellen 🙂

***

Mehr zu Georg Dibbern auf Somes Island, seiner Adoption in einen Maori Iwi usw. im zweiten Teil dieser Buchbesprechung, demnächst auf diesen Seiten.


2 Responses to Taonga: Te Rapunga, die dunkle Sonne (1)

  1. Dom sagt:

    Wo lässt sich dieses Buch in Deutschland noch auftreiben, außer über Amazon für über 80,-€?
    Auf trademe werden neue Exemplare für 49,-$ angeboten, was mir hier in Germany aber wenig bringt…

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