SideTrack: Die Sache mit den Erdbeben


Wenn man als Aucklander einen Wellingtonian fragt, was vergleichsweise gut oder schlecht am Leben in Wellington ist, dann gibt es im allgemeinen eine Antwort der folgenden Sorte:

1. Wellington hat mehr ‚Charakter‘ und kulturelle Angebote, alles ist dichter zusammen, so dass es einfacher ist etwas zu unternehmen, und die öffentlichen Verkehrsmittel sind so gut, dass man auf das Auto verzichten kann, und was Hedonismus angeht (Fressen & Saufen & xxx) stehen die Dinge mindestens so gut wie Auckland.

Peters Meinung: stimmt im Wesentlichen.

2. Das Wetter in Wellington ist fast so warm wie in Auckland:

Peters Meinung: eine krachende Lüge. Das Wetter in Wellington ist geradezu unflätig. Dauernd Regen, ständig Wind, und auch im Sommer manchmal einstellige Temperaturen. Brrrr!

3. Das Einzige, was an Wellington nervt sind die Erdbeben.

Peters Meinung: wobei wir beim Thema wären.

Alle Welt fabuliert im Moment – noch ein wenig, im Angesicht von Fukushima – über die schlimmen Erdbeben in Christchurch der letzten Jahre. Wir erinnern uns, einstürzende Neu- wie Altbauten, etwa 200 Tote, mehr als 10 Mrd Euro Sachschäden … schlimm. Schlimm auch die Vermutung, dass viel Unheil vermeidbar gewesen wäre, da einige der Bürogebäude, die für viele Menschen zur Todesfalle wurden, auf geologisch instabilem Untergrund gebaut worden waren. Dazu gibt es jetzt parlamentarische Untersuchungsausschüsse, siehe unten.

Jedenfalls Erbeben, die braucht man nicht. Ich habe selbst eines in Christchurch, und mehrere in Taipeh miterlebt, und es war beunruhigend.

Wer sich bindet, sollte vorher also sorgfältig prüfen. Die Seite www.geonet.org.nz -> Earthquake enthält viele Daten und Information (leider nicht allgemein verständlich aufbereitet) zur geografische Verteilung von flachen und tiefen Erdbeben, und die Wikipediaseite „Earthquakes in New Zealand“ ist als Einführung in das Thema ebenfalls sehr nützlich. Eines wird klar. Christchurch sitzt in der Ruckelzone, und Wellington erst recht. Auckland kommt ganz gut weg, was mich natürlich in meinem Auckland – Lokalpatriotismus nur bestärken kann, aber nun wieder nicht heißt, dass Auckland 100% ungefährdet wäre. Auckland ist mit Vulkankegeln übersät, der augenfälligste ist vielleicht Rangitoto Island, und ist im Moment nicht aktiv, wird es aber in geologischen Zeitaltern von ’nur‘ einigen hunderttausend Jahren wohl wieder werden 🙂 … in der Zwischenzeit wackelt die Erde ab und zu aber auch in Auckland … ich möchte gar nicht wissen, was passieren würde, wenn in Auckland mal die Erde richtig bebt, denn die Bauvorschriften sind sicher noch laxer ausgelegt oder umgesetzt worden als in Christchurch. Sicher ist, dass ein Erdbeben der Stärke des japanischen Bebens vom März 2011 die betroffenen Teile Neuseelands ausradieren würde. Man bedenke aber, dass das Erdbeben in Japan von der Stärke 9 war, während das Christchurch-Beben etwa Stärke 6 hatte; da die Skala logarithmisch ist, war also das japanische Beben rund eintausend Mal stärker.

Abgesehen vom Extremfall eines Megabebens bei dem man alles Mögliche verliert, vielleicht sogar das Leben, gibt es auch kleine Nebeneffekte, die man nicht vergessen sollte. Die schnuckeligen Holzhäuschen in Wellington aus Großmutters Zeiten haben fast durchgehend verzogene Tür- und Fensterrahmen, weil sich die Erde ständig ein wenig bewegt. Dadurch werden die Häuser noch zugiger und kälter als sie es sowieso schon sind. Ich habe als Student ein paar erbärmlich kalte Nächte in der Wohnung von Freunden in Wellington verbracht – erinnere mich glatt heute noch daran.

Das wird wahrscheinlich nicht bedeuten, dass man als weitsichtiger Deutscher Wellington als Wohnort ganz meiden will, denn es gibt vor allem viele interessante Regierungsjobs dort, und die Gegend ist auch vom Freizeitwert nicht zu verschmähen. Aber eine ausreichende Versicherungspolice gegen entsprechende Naturkatastrophen ist, zum Beispiel, eine gute Idee, oder auch nur das Bewusstsein, dass im Gegensatz zu Deutschland diese Dinge eine Rolle spielen.

Allgemein zum Thema Erdbeben möchte ich nicht dozieren, dazu fehlt mir die Expertise, und z.B. die oben zitierte Wikiseite deckt das Grundsätzliche ab, und wer sich fundiert und unterhaltsam weiter bilden möchte, dem sei das fantastische Buch „Krakatoa“ von Simon Winchester empfohlen. Hier nur soviel … Neuseeland liegt an der Nahtstelle zwischen indo-australischer und pazifischer Platte und stellt das südwestliche Ende des berühmt-berüchtigten „Pacific Ring of Fire“ dar, auf den sich momentan der Großteil der seismischen und vulkanischen Aktivität des Planeten konzentriert. Im Bereich Neuseelands schieben sich diese Platten untereinander (‚Subduktion‘), was allerdings kein ‚glatter‘, kontinuierlicher Vorgang ist, da die Gesteinsschichten spröde sind (das muss nicht immer so sein, übrigens, in der Subduktionszone am Marianengraben ist das Gestein sandig und ’schmiert‘ den Vorgang, weshalb es in jener Gegend keine nenneswerten Erdbeben gibt). Es kommt dabei immer wieder zum Verzahnen und Verhaken der Platten, die langsam Verformungsenergie aufstauen, die dann während der spontanen Lösung der Verkeilung als Erdbeben frei gesetzt wird – so in etwa. Wie schwerwiegend sich ein Beben für Mensch und Natur an der Oberfläche auswirkt, hängt auch davon ab, wie tief unter der Erdoberfläche sich das seismische Ereignis vollzogen hat. Als Faustregel gilt, je seichter, desto schlimmer. Das Christchurch-Erdbeben vom Februar 2011 war an sich nicht stark, aber sehr nahe an der Oberfläche, so dass der Schaden gravierend war. An der Oberfläche selbst, je nach Bodenbeschaffenheit kam es in Christchurch auch zur Verflüssigung des Bodens („soil liquefaction“), und den bekannten Bildern, die aussahen als wären die Straßen mit komischer dunkler Flüssigkeit geflutet worden, wobei (siehe oben) die Instabilität der Bodens zum Teil bekannt gewesen war. Trotzdem wurden Hochhäuser an diesen Stellen errichtet, was im Moment ein Nachspiel hat.

Nach dem Erdbeben schwappte durch ganz Neuseeland eine – sorry, mal wieder den Spielverderber zu machen – etwas sehr dick aufgetragene Welle des Mitgefühls. Wobei Letzteres allerdings an Vermietern im Raum Christchurch offenbar spurlos vorbei gegangen war, denn so mancher versuchte, aus der plötzlichen Nachfrage nach intaktem Mietraum Profit zu schlagen. Hier zeigte sich das hässliche Gesicht des gierigen Kiwi, dessen Konturen sich in den letzten Jahrzehnten ökonomischen ‚Liberalismus‘ leider zunehmend verschärfen. Ähnlich opportunistisch zeigten sich der Premierminister John Key und sein Kumpel Alan Bollard von der neuseeländischen Zentralbank, die das Erdbeben als Vorwand nutzten, um den Leitzins zu senken, und so ein paar Monate später in Auckland (!) einen Miniboom in der Hausspekulation auslösten. Good on ya, Johnno! Daneben nahm die Regierung noch Schulden ‚auf Vorrat‘ auf, um die günstige Lage am Anleihemarkt zu nutzen, der wegen der strukturellen Probleme mit Staatsschulden in den USA und der EU gerne auf Schwellenländer und deren Rohstofflieferanten zurückgreift. Einen großen Teil der Kosten des Wiederaufbaus trägt natürlich nicht die Regierung, sondern Versicherungen und deren Rückversicherer, inkl. der großen deutschen Rückversicherer Munich Re und Hanover Re. Und weil diese ihre Euro und US Dollar in Kiwidollar tauschen müssen, um die neuseeländischen Schadensfälle zu begleichen, ist der Aufwertungsdruck auf den Kiwidollar in den letzten Monaten wieder relativ stark. So ist das in der globalisierten Welt, alles hängt mit allem zusammen …

Aber zurück zum Ausbruch der Solidarität und Empathie … die zeigte sich vor allem in unzähligen Klingelbeuteln („earthquake appeals“), die in Firmen herum gereicht wurden, und bei denen erheblicher Gruppenzwang („peer pressure“) herrschte, etwas zu geben. Ich muss kaum erklären, was ich von so einem Zwangsmitgefühl halte … jedenfalls habe ich mitbekommen, wie Bekannte, die gezwungenermaßen jeden Dollar umdrehen müssen, auch noch zum Spenden gemobbt wurden. Ziemlich verwerflich, das … vor allem, wenn man es mit der demonstrativen Empathielosigkeit abgleicht, die sonst so in modernen Corporations herrscht: mir kommen diese Spendegelegenheiten um das CSR-Image zu polieren geradezu wie ein Ablasshandel vor, nach dem Motto, wenn wir schon sonst unverantwortliche Gierhälse sind, dann lassen wir wenigstens bei fotogenen Katastrophen den Gutmenschen raushängen. Igitt!

Geradezu drollig waren auch die Spendenkonten, die ich auf einigen eher gutmenschlich-kommerziell ausgerichteten deutschsprachigen Neuseelandseiten gesehen habe. Hey, Neuseeland ist kein Drittweltland. Wenn die neuseeländische Regierung es nicht fertig bringt, ihr eigenes Volk zu versorgen, dann sollte man sich aber ganz gehörig Sorgen machen um das Land. Soweit – meine ich – ist es aber noch nicht.

Zum Abschluss noch etwas aus dem Reich des Spektakulären. Die Taupo Supercaldera! Tjaaa! Unter Taupo schlummert der Weltuntergang: ein Supervulkan, der angeblich das letzte Mal vor etwa dreißigtausend Jahren in die Luft flog, geschätzte 1000 Kubikkilometer Material in die Atmosphäre sprengte, und einen Krater/Caldera hinterließ, der heute mit Wasser gefüllt als Lake Taupo bekannt ist. Ob unter Taupo wirklich eine gigantische Magmakammer sitzt, die darauf wartet, irgendwann einmal wieder die Nordinsel zu verwüsten und einen kleinen globalen nuklearen Winter auszulösen ist keineswegs klar, wird aber vermutet. Andererseits scheint es in der Fachwelt nicht einmal klar, ob die letzte große Taupo-Eruption wirklich als die eines Supervulkans klassifiziert werden kann, denn ich habe auch gelesen, dass z.B. der US Geological Survey die letzte große Explosion des Toba in Indonesien vor 74000 Jahren als jüngstes Supervulkanereignis der Welt klassifiziert. Wie dem auch sei, das Taupo-Ereignis hatte jedenfalls keine so gravierenden globalen Kühleffekte wie die Toba-Explosion, oder gar die sprichwörtliche Supercaldera unter dem Yellowstone National Park in Wyoming (USA). Und was in Taupo als Nächstes kommt, und wann ist notorisch schwer vorher zu sehen, so schwer, dass wir uns alle getrost noch lange rund um den See vergnügen können. Übrigens nicht vergessen sich ein paar Bimssteine mitzunehmen. Die schwimmen vor allem auf der südlichen Seite des Sees herum, bzw. bedecken dort die Strände.


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