Nein, ich habe die Sache nicht vergessen. Hier nochmal die Vorgängerartikel, als Hintergrund: SOS Deutsche Rentner in Neuseeland und Neues zum neuseeländischen Rentenproblem.
Zur schnellen Erinnerung: es geht darum, dass Bezieher deutscher Altersrenten, die in Neuseeland leben – typischerweise deutsche Auswanderer oder Kiwi-Rückkehrer, die lange in Deutschland gelebt und Beiträge gezahlt haben – ihre deutschen Sozialversicherungsrenten voll von der neuseeländischen Altersversorgung („New Zealand Superannuation“ = NZS) abgezogen bekommen, das deutsche Finanzamt allerdings die deutsche Sozialversicherungsrente ohne Grundfreibetrag (im Jahre 2015 wären das theoretisch 8472 Euro pro Person) besteuert, so dass in Summe für viele de facto weniger Rente zur Verfügung steht, als wenn sie nie in Deutschland gearbeitet und Rentenbeiträge entrichtet hätten.
Das finden die Betroffenen gemein und beschweren sich seit vielen Jahren bei den neuseeländischen Behörden wegen der vollen Anrechnung (auch „Direct Deduction Policy“, DDP genannt) und bei den deutschen Ämtern wegen der vollen Besteuerung. Die deutschen und neuseeländischen Institutionen zeigen ebenfalls seit vielen Jahren mit dem Finger aufeinander und erklären sich selbst für unzuständig und nicht in der Lage etwas zu ändern.
Einige Anfragen bei den ausführenden Behörden, WINZ in Neuseeland und der Deutschen Rentenversicherung, ergaben praktisch keine neuen Einsichten, oft nicht einmal eine Antwort. Die Dinge seien nun einmal wie sie sind und einem selbst die Hände gebunden. Also gingen wir eine Stufe nach oben und schrieben die relevanten politischen Instanzen an.
Hier ist die ausführliche schriftliche Antwort der damaligen neuseeländischen Sozialministerin Jo Goodhew vom Februar 2014, die darlegt warum Neuseeland in seiner derzeitigen Handhabung keine Ungerechtigkeit erkennt:
The Hon Jo Goodhew, National Party, zur Direct Deduction Policy
Immerhin gab es diese Antwort innerhalb von zwei Monaten und die Information ist substantiell:
- Es wird Anhand von zwei Szenarien vorgerechnet, warum die bestehende neuseeländische Praxis keine erhebliche finanzielle Ungerechtigkeit darstellt.
- Es wird auf Gespräche mit dem deutschen Botschafter im Jahr 2012 Bezug genommen, also zum Ausdruck gebracht, dass sehr wohl geredet würde und die Angelegenheit keineswegs unter den Teppich gekehrt sei.
Als Laie finde ich es schwer die Argumentation der Ministerin zu widerlegen. Also habe ich die deutsche Botschaft gebeten Stellung zum Schreiben von Jo Goodhew zu nehmen.
Im Juni 2014 erhielten wir folgende Nachricht von der deutschen Botschaft, nachdem diese bei den Fachministerien in Berlin rückgefragt hatte:
… Das deutsche Rentenversicherungssytem ist mit dem neuseeländischen nicht kompatibel, da beide von einem unterschiedlichen Ansatz ausgehen. Das deutsche Rentensystem beruht auf einer beitragsfinanzierten und einkommensabhängigen Rentenzahlung und das neuseeländische System geht von einer steuerfinanzierten und einkommensunabhängigen Grundsicherung aus. Durch die Beitragsfinanzierung werden die Rentenanwartschaften in Deutschland direkt einer bestimmten Person zugeordnet, während dies in Neuseeland nicht der Fall ist, da keine Anwartschaften gesammelt werden müssen.
Weder die deutsche noch die neuseeländische Seite sind bereit, an ihrem System grundlegende Punkte zu ändern, um die Voraussetzungen für den Abschluss eines Sozialversicherungsabkommens zu schaffen. Auch andere europäische Länder, die eine beitragsfinanzierte Rentenversicherung haben, sehen das genauso. Daher strebt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) kein Sozialversicherungsabkommen mit Neuseeland an. …
Obwohl diese Auskunft irgendwie interessant ist, stellt sie sicher keine Stellungnahme zum Schreiben des neuseeländischen Ministeriums dar. Deshalb habe ich mich direkt beim BMAS erkundigt und über die letzten 12 Monate verstreut folgende Informationsversatzstücke erhalten:
… Gespräche zwischen Deutschland und Neuseeland bezüglich eines bilateralen Sozialversicherungsabkommens hat es bislang nicht gegeben. …
Ich nehme an, dass die Gespräche des deutschen Botschafters mit dem neuseeländischen Minister nicht als Gespräche zwischen Deutschland und Neuseeland gezählt werden? Auch interessant, aber nicht hilfreich. Weiter im Text:
… In rechtlicher Hinsicht sehen wir weiterhin keinerlei Möglichkeiten der Einflussnahme auf die neuseeländische Politik. Der Abschluss eines Sozialversicherungsabkommens wird von der neuseeländischen Seite weiterhin abgelehnt. Diese Haltung wird Neuseeland nach unserer Einschätzung auch bei einem gemeinsamen Vorgehen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht aufgeben.
Die Verrechnung ausländischer Rentenzahlungen mit dem Betrag der staatlichen „Superannuation“ wird nicht nur in Deutschland diskutiert, sondern immer wieder auch in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Da es sich um eine rein innerstaatliche Regelung Neuseelands und die Anwendung neuseeländischen Rechts handelt, wäre eine Einflussnahme auf die neuseeländische Politik nur über Verhandlungen über ein bilaterales Abkommen möglich. Die bisherige neuseeländische Praxis in Bezug auf Abkommen über die Soziale Sicherheit zeigt jedoch, dass auch für diesen Fall mit einem Beharren der neuseeländischen Seite auf ihrer Politik zu rechnen sein wird. In den bereits erfolgreich abgeschlossenen Abkommen mit anderen europäischen Staaten wurde diesbezüglich kein Zugeständnis Neuseelands erreicht. Mit Staaten, die auf dem Aussetzen dieser Praxis beharren, konnte Neuseeland bis heute keine Sozialversicherungsabkommen schließen. …
Wir nehmen also mit:
- Hier wird von deutscher Seite wieder mit allgemeinen Aussagen gearbeitet, ohne konkret auf den Brief des neuseeländischen Ministeriums einzugehen. Ist es zu schwierig die neuseeländischen Modellrechnungen zu durchdenken und ggf. entkräften, oder gar Gegenrechnungen aufzustellen? Sowas könnte ja zu einer Annäherung der Positionen oder gar einem Dialog führen. Ist ein Dialog unerwünscht?
- Unsere Frage, ob denn ein Sozialversicherungsabkommen mit Neuseeland nicht auch sinnvoll wäre, wenn die DDP ausgeklammert bliebe (darauf weist das BMAS schließlich im bezug auf andere europäische Länder selbst hin), z.B. was Anerkennung von Beitragszeiten betrifft, wurde ignoriert.
- Unsere Frage, warum, wenn sich die neuseeländische Seite stur zeige, die deutschen Finanzbehörden nicht den selben Grundfreibetrag für deutsche Rentner in Neuseeland ansetzen könnten, wie sie es für deutsche Rentner in Deutschland tun, wurde ebenfalls ignoriert.
- Neben Griechenland scheint wohl auch Neuseeland eine politische und wirtschaftliche Supermacht zu sein, die die gesamte EU in dieser Frage nach Belieben in Schach halten kann.
- Die mächtigste Frau der Welt, unsere einmalige Bundeskanzlerin Merkel, hat es bei ihrem kürzlichen Besuch in Neuseeland vorgezogen Kiwis zu streicheln, statt ein Sozialversicherungsabkommen auf die Agenda zu setzen.
Ein Armutszeugnis, aber anders habe ich es von Deutschland leider nicht erwartet. Die existentiellen Anliegen einfacher Bürger erscheinen nicht auf dem Radar des systemisch bürgerfernen bis -feindlichen Partei- und Staatsapparats. Nach Lage der Dinge versuchen deutsche Behörden und politische Instanzen nicht einmal das Problem zu lösen.
Gute Voraussetzungen für den überfälligen Abschluß eines Sozialversicherungsabkommens zwischen Deutschland und Neuseeland sind das allemal nicht. Übrigens gibt es eines zwischen Deutschland und Australien, obwohl das australische Sozialversicherungssystem dem neuseeländischen stark ähnelt. Seltsam, dass das klappte, während im Fall Neuseeland schon vorab aufgegeben wird.
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Was kann man in so einer Situation noch tun? Offiziell auf die erarbeiteten Rentenansprüche in Deutschland verzichten (§46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch), um von den Neuseeländern voll ausgezahlt zu werden ist möglich und vielleicht auch der Gedanke hinter der Untätigkeit der deutschen Institutionen – aber irgendwie pervers.
Wie gesagt, das deutsche Finanzministerium könnte deutschen Rentnern in Neuseeland (und im sonstigen Ausland ohne Sozialversicherungsabkommen mit Deutschland) einen Grundfreibetrag zuerkennen, wie er bei allen deutschen Steuerzahlern in Deutschland üblich ist – aber eher geht wohl ein Kamel durch ein Nadelöhr. Schäuble und Merkel brauchen jeden Cent, um ihren globalen politischen Irrsinn auf anderen Gebieten zu finanzieren.
Deutsche Medien interessieren sich nicht für den Fall, das habe ich bereits an ein paar Stellen versucht. Die berichten lieber weiter über Hobbits oder fliegen mit der Kanzlerin nach Neuseeland und schreiben hinterher wieder etwas über die angeblich mächtigste und angesehenste Frau der Welt.
Deutsche Politiker habe ich auch angeschrieben. Deren Engagement tendiert bisher gegen Null. Da wird dann zwischen Finanzministerium und Sozialministerium mit den Fingern gezeigt. Die anderen seien zuständig, oder notfalls immer die Neuseeländer Schuld. Einen Grundfreibetrag für deutsche Rentner im Ausland einzuführen kommt jedenfalls nicht in Frage. Hier zum Beispiel ein Brief des damaligen Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Hartmut Koschyk, der seitenweise den Status Quo beschreibt, dem aber nichts zur Lösung des Problems einfällt:
Hartmut Koschyk, CSU, für das Bundesfinanzministerium
Der Petitionsausschuss des Bundestags ist in meiner Erfahrung ein Witz. Der Ausschuss lehnt praktisch alles ab, was einfachen Bürgern nützen könnte und der Bundestag folgt seinen Empfehlungen hündisch.
Wenn jemand einen Vorschlag hat wo man noch ansetzen könnte, würden den gerne eine Menge deutscher Rentenbezieher in Neuseeland hören. Meldet Euch.
Hallo, hat sich da was seit dem 2015 verändert?
Gruß von Nöten
Meines Wissens leider nicht. Die neue Regierung hat ihre Versprechen diesbezüglich bisher nicht gehalten.
Ministerin für Soziales, Frau Sepuloni, hat mir Stand 11.03.2019 geschrieben, dass es sich um eine komplexe Materie handle und sie wohl nicht im Stande sein wird sich vor Ende des Jahres dazu zu äußern. Ihre Beamten würden es sich inzwischen aber anschauen. Sinngemäß hatte sie sowas auch schon 2018 geschrieben. 2020 ist dann Wahljahr … also sowieso keine Zeit, wenn noch viel ernsthafte Politik gemacht wird.
Ich bin skeptisch, dass da in absehbarer Zeit etwas passiert. Von deutscher Seite sowieso nicht, dort wird prinzipiell kein Handlungsbedarf gesehen. Schade, das Ganze. Die alten Leute können einem Leid tun. Sind meistens gar nicht mehr in der Lage ihre Interessen zu vertreten und müssen so eine Ungerechtigkeit hinnehmen.
“ Kopp-Verlag „, davon würde ich die Finger lassen, für das Sozialversicherungsabkommen brauchst du das Wohlwollen der Mutti Merkel falls es damit was werden soll und der Kopp Verlag steht bei der Bundesregierung auf der Liste der „Nazis“, „Islamhasser“ und „Verschwörungstheoretiker“!
Bund der Steuerzahler ist da die weitaus bessere Wahl, die werden zumindest halbwegs ernst genommen!
Hallo Peter,
mich beunruhigt dieses nicht vorhandene Sozialversicherungsabkommen sehr, aber ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es mich betreffen wird, denn als Ärztin bin ich seit 2004 von der deutschen Rentenversicherung befreit. Von Oktober 2004 bis Anfang 2015 habe ich Rentenbeiträge an die nordrheinische Ärzteversorgung geleistet (so etwas wie eine Berufsinnungsrente) und Beitragszahlungen an eine private Rentenvorsorge (AXA) welche bis auf Weiteres „eingefroren“ sind. Zudem hätte ich als Rentnerin Ansprüche auf Bezüge aus der kirchlichen Versorgungskasse, da ich in kirchlichen Krankenhäusern gearbeitet habe. Seit Februar 2015 arbeite ich als Ärztin in Neuseeland und habe eine Superannuation abgeschlossen, erst wenn ich in den nächsen Monaten die Residency habe kann ich den KiwiSaver starten, zu dem Zeitpunkt werde ich 36 Jahre alt sein. Ich beabsichtige einen dauerhaften Aufenthalt in NZ bis zum Tode, aber eine neuseeländische Staatsbürgerschaft werde ich wohl nicht annehmen. Meine Frage ist, da ich keine gesetzliche Rente aus Deutschland/Zahlungen aus der deutschen Rentenkasse erhalten werde – würden meine Rentenbezüge aus Deutschland (Ärzteversorgung und insb. private Altersvorsorge der AXA) überhaupt durch den Kiwi Super angetastet werden?
Vielen Dank, Natalie
Hi Natalie
Alles Folgende ist natürlich nur meine persönliche Meinung und in keiner Weise als „Beratung“ zu verstehen. Wenn Du ganz genau wissen willst woran Du Stand heute bist, musst Du Deine ganzen Sozialversicherungsträger abklappern und Dich Stück für Stück beraten lassen.
Nach diesem Disclaimer: An Deiner Stelle würde mich diese Sache vorerst nicht beunruhigen. Mit 35 hast Du noch mindestens 20 bis 25 Jahre Berufsleben vor Dir, im allgemeinen, falls nichts Ungewöhnliches passiert. Vielleicht schaffen es die deutschen und neuseeländischen Staatsorgane bis dahin ein nützliches Sozialversicherungsabkommen abzuschließen. Und auch wenn sie es nicht schaffen, solltest Du eigentlich nie auf die paar Groschen aus der NZS angewiesen sein.
Dein sozio-ökonomischer Status ist und wird wahrscheinlich nie einer sein, der eine echte existentielle Abhängigkeit von der NZS indiziert. Plus, wer weiß, ob es in 25 Jahren die NZS in ihrer derzeitigen Form noch gibt? Viele glauben es eher nicht. Die Deutsche Rentenversicherung degeneriert ja auch zu einem asozialen Hartz-IV für alle, egal wieviel eingezahlt wurde, und das hätte vor ein paar Jahren auch niemand für möglich gehalten.
Trotzdem: die NZS ist dazu gedacht eine Grundversorgung für alle Kiwis im Alter sicherzustellen. Einkommensquellen aus anderen Sozialversicherungen werden dagegen – meines Wissens – angerechnet.
Bei SORTED heißt es dazu:
If you get a pension from an overseas government, your NZ Super payments may be reduced by the amount you receive from overseas.For more information call Work and Income on 0800 552 002 and ask for the International Services office.
Bei WINZ selbst heißt es:
A client receiving an overseas pension will have their pension directly deducted from their New Zealand benefit or pension if that overseas pension is:
– part of a programme that provides benefits, pensions and periodical allowances for the same circumstances for which a New Zealand benefit or pension would be made and
– administered by or on behalf of the government of the overseas country
Wird Deine Innungsrentenkasse als „administered by or on behalf of the government of the overseas country“ betrachtet? Das müsstest Du z.B als Erstes herausfinden.
Ansonsten ist NZS „not means-tested“ d.h theoretisch bekommst Du NZS ausgezahlt, auch wenn Du gleichzeitig Millionen aus dem Kiwisaver oder von anderen privaten Rententrägern erhälst.
Meine ganz persönliche Meinung – nochmal, nicht als Beratung gedacht – ist, dass Du in den kommenden 25 Jahren genug Gelegenheit haben wirst Vermögen aufzubauen, das Dich finanziell unabhängig machen wird. Dann können Dir WINZ und deren NZS, Sozialversicherungsabkommen usw. egal sein.
Meine Artikel sind eher dazu gedacht den Leuten Informationen bereit zu stellen, die keine Ahnung von DDP hatten und jetzt mit weniger Rente leben müssen als geplant. Für die ist das ein akutes (teilweise wirklich katastrofales) Problem und es ist eine Schande, dass sich der deutsche Staat wieder einmal um nichts kümmert als von alten Leuten in Übersee Steuern einzutreiben. Das Bundeskanzleramt hat übrigens auf eine Anfrage, ob Frau Merkel bei ihrem Neuseelandbesuch ein Sozialversicherungsabkommen zur Sprache bringen wird einfach nicht reagiert. Der Arroganz und Unfähigkeit des deutschen Staats zu entkommen ist ja auch ein treibender Punkt bei vielen deutschen Auswanderern. Sei froh, dass Du weg bist und baue Dir ein Vermögen auf, an das der deutsche Staat seine Griffel nicht mehr rankriegt. Das ist die beste Altersvorsorge 🙂
Gruß,
Peter
Vielen lieben Dank für die ausführliche Antwort!
Cheers,
Natalie
wie wärs mit dem Bund der Steuerzahler? wiso anschreiben? ard-ratgeber recht?
beim Koppverlag einen Artikel schreiben? Danke jedenfalls für die Warnung in dem Bereich. Jeder sollte sowieso einen Erwerb behalten bis zuletzt, Inflation kommt sicher auch.
ARD, ZDF usw. hatte ich schon. Die wollen nicht. Kopp-Verlag oder Bund der Steuerzahler werde ich noch versuchen.
Danke für den Vorschlag,
Peter