Taonga: Der Vertrag von Waitangi


Der Vertrag von Waitangi ist wahrscheinlich die umstrittenste A4 Seite Neuseelands. Und gleichzeitig das einzige Dokument das es vermag so etwas wie einen Gründungsmythos zu transportieren. Wir wollen eine knappe Woche nach dem Waitangi Day 2018 die Geschichte dieses komplizierten Feiertags und des Vertrags der ihm zu Grunde liegt erklären und die Chancen einer modernen Interpretation ergründen.

Treaty of Waitangi: was drinsteht

Der Inhalt des Vertrags der am 6. Februar 1840 von Kapitän Hobson (für die britische Krone) und einer Anzahl von Māori Stammesführern unterzeichnet wurde (andere, vor allem auf der Südinsel lebende Häuptlinge unterschrieben später; letztlich waren mehr als 500 Häuptlinge involviert, deren Machtbereich einen großen Teil Neuseelands abdeckte, aber sicher nicht 100%) ist vordergründig schnell erzählt. Die Māori übertragen ihre Souveränitätsrechte an die britische Krone (Artikel 1), die ihnen im Gegenzug den Schutz der britischen Bürgerrechte („British subject“, Artikel 3) und uneingeschränkte Rechte über ihr Land verspricht, jedenfalls bis zu dessen Veräußerung für die die Krone ein Vorkaufsrecht erhält (Artikel 2). Die Präambel, die dem Vertragsinhalt vorausgeht motiviert das Unternehmen: es soll der Boden für Staatlichkeit und Rechtssicherheit und damit eine blühende gemeinsame Zukunft einer gemischten britischen-Māori Nation geschaffen werden.

Vertrag von Waitangi in Maori (c) ATL Wellington

Vertrag von Waitangi in Maori; Druckversion von 1840 (c) ATL Wellington

Der Originaltext ist in wenigen Minuten gelesen und hört sich eher unspektakulär an, mit Ausnahme der Übersetzungs- und Verständnisproblematik: es existieren eine englische und mehrere „Te Reo“ Versionen des Dokuments, wobei letztere keine wortwörtlichen Übersetzungen der englischen Variante sind, da Begriffe wie z.B. „Souveränität“ keine einfache Entsprechung in der Welt der Māori hatten.

Die Krux mit dem Vertrag von Waitangi ist aus heutiger Sicht seine angemessene, ‚moderne‘ Interpretation, denn es handelt sich mitnichten um irgendeinen längst vergessenen Vertrag der – wie so viele andere – von neuen politischen Realitäten überholt wurde. Zwar wurde der Vertrag im Anschluss an die Māori-Kriege (1845 – 62) von der neuseeländischen Gerichtsbarkeit häufig und offen ignoriert, u.a. schob man vor, dass die Māori durch Kriegshandlungen vertragsbrüchig geworden seien und somit auch die Verpflichtungen der Krone nichtig geworden waren. Formal widerrufen wurde er jedoch nie und es wurde geflissentlich übersehen, dass die wenigen kriegführenden Stämme den Vertrag gar nicht unterzeichnet hatten.

Der Vertrag von Waitangi erlebte seine Renaissance im Zuge der Bürgerrechtsbewegungen in der westlichen Welt in den 1960er und 70er Jahren. 1975 wurde per Gesetz das Waitangi Tribunal geschaffen, das Ansprüche von Māori gegenüber der Krone auf Grundlage des Waitangi Treaty untersucht und nichtbindende Empfehlungen abgibt. Der Vertrag bildet somit die lebendige juristische Grundlage für Ansprüche vieler Māori Iwi, die sich seit 1840 von der Krone in irgendeiner Weise übervorteilt fühlen und bleibt, vor allem durch seine feierliche Präambel, ein konstituierendes Dokument für die neuseeländische Nation.

Waitangi Tribunal: die späte Wiederauferstehung des Vertrags

Wie viele Deutsche in den letzten Jahren gelernt haben, kümmern sich Regierungen nicht immer um Vorschriften, Gesetze und Verträge. Verträge haben im allgemeinen solange Bestand wie sie den Mächtigen von Nutzen sind und das galt im 19. Jahrhundert sicher noch stärker als heute. Ein vage formulierter Vertragstext wie der des Waitangi Treaty muss zu Umdeutung und Nichtbeachtung geradezu eingeladen haben und Missverständnisse zu Kernbegriffen wie ‚Souveränität‘ waren aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Prägung sowieso vorprogrammiert.

Andererseits wurde der Vertrag, wie gesagt, auch nie von Regierung oder Parlament für unwirksam erklärt und Neuseeland durchlief – ganz anders als Deutschland – seit 1840 keine gravierenden Umbrüche seiner Staatlichkeit. Staatsoberhaupt ist noch immer der britische Monarch, so dass ‚die Krone‘ bis zum heutigen Tag eine existente juristische Person bleibt, die man belangen kann. Das Waitangi Tribunal arbeitet seit 1975 an der Aufarbeitung historischer Vertragsbrüche und versucht sie einer Einigung („Settlement“) zwischen Iwi und Krone zuzuführen. Der eigentliche Settlement-Prozess läuft nach Veröffentlichung des Berichts („Report“) des Waitangi Tribunal über das Office of Treaty Setttlements.

Bevor das Tribunal seine Arbeit aufnehmen konnte, musste jedoch die ‚Übersetzung‘ des Vertrags von Waitangi aus dem 19. ins 20. und 21. Jahrhundert vorgenommen werden, denn der Vertragstext selbst gibt nur abstrakte Leitlinien her, aus denen unmittelbare Ansprüche kaum abgeleitet werden können. Das Ergebnis waren die folgenden Rechtsprinzipien („Principles“) nach denen das Tribunal Claims beurteilt, im Folgenden stark verkürzt:

Partnerschaft, Gegenseitigkeit, Aktive Schutzverpflichtung gegenüber Māori

Beide Seiten, aber insbesondere die Krone, sind durch den Vertrag zu fairem Umgang miteinander verpflichtet, was bedeutet, dass die Krone bei Landkäufen ernsthaft und ehrlich den wahren Eigentümer festzustellen hatte (in der Realität wurden oft Stammesangehörige gegeneinander ausgespielt, bzw. ein Judas gefunden, der sich als Alleineigentümer ausgab und den Rest des Iwi überging). Im Gegenzug für die Aufgabe der Souveränität konnten Māori weiterhin erwarten, dass die Krone bei Landkäufen auch die Interessen und das Schutzbedürfnis der Māori vertreten würde. Mehr noch, die Krone ist verpflichtet treuhänderische Aufgaben gegenüber Māori wahrzunehmen, also Māori in Fragen von Land- und Wasserrechten aktiv zu unterstützen.

Autonomie und Selbstbestimmung

Laut Vertrag ging mit der Aufgabe der ‚äußeren‘ Souveränität der Māori die Wahrung der inneren Autonomie der Stämme einher, also Anerkennung von Stammestraditionen und deren Bedeutung für soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen der Iwi. Insbesondere die Bestimmung von Entscheidungsträgern und Landrechten innerhalb der Iwi müssen respektiert werden. Das Ziel einer funktionierenden Zweikulturengesellschaft bedeutet dabei die Wahrung der vollen Selbstbestimmung der Māori d.h. diese können uneingeschränkt entscheiden, ob sie voll in der britisch geprägten Gesellschaft partizipieren, sich ganz abgrenzen und in ihren traditionellen Gesellschaftstrukturen verharren oder sich für irgendetwas zwischen den Extremen entscheiden.

Beidseitiger Nutzen und Gleichbehandlung

Interessanterweise haben sich hier die Rechtsgelehrten – siehe „affirmative action“, also Gleichsetzung von Chancengleichheit mit Ergebnisgleichheit – nicht damit begnügt die Möglichkeit des Nutzens auf Seiten der Māori aus dem Vertrag herauszulesen, sondern sehen im Vertrag das Ergebnis eines realen Nutzens für Māori verbrieft (wobei die Definition von Nutzen wieder eine ganz materialistisch-europäische ist). Der Nutzen des Vertrags für Māori ist Teilhabe an einer europäischen Gesellschaft durch die Aufwertung ihrer nicht verkauften Ländereien die mit der wirtschaftlichen Entwicklung der veräußerten Ländereien Hand in Hand geht. Dafür ist ausschlaggebend, dass Māori am Ende der europäischen Siedlungsprozesses noch über genügend Land verfügten, um aus dem wachsenden Wohlstand der Mehrheitsgesellschaft diesen Nutzen ziehen zu können.

Im Übrigen ist nicht hinzunehmen, dass die Krone sich in irgendeiner Weise stärker für die Rechte der Siedler als die Rechte der Māori engagiert. Außerdem muss die Krone gegenüber verschiedenen Gruppen von Māori neutral agieren und kein Iwi bevorzugen oder benachteiligen.

Wiedergutmachung

Historisches Unrecht ist wiedergutzumachen um die Ehre und Integrität der Krone und das ‚mana‘ (Macht, Prestige), Status und Stammesbasis der Māori wiederherzustellen.

Es überrascht nicht, dass diese „Principles“ in Neuseeland hochumstritten sind. Der Māori Lobby und den Grünen gehen sie nicht weit genug, so möchte man z.B. das Recht auf Claims von Iwi auf Hapū (Unterstämme) ausweiten, während andere wie NZ First (trotz starker Verbindungen zur Māori Community in Northland) bemängeln, dass die Principles und ihre Rückwirkung bis ins Jahr 1840 Tür und Tor für fingierte, nicht mehr nachprüfbare Ansprüche öffnen und die Gesellschaft spalten. In diesem Zusammenhang fällt oft das böse Wort von der „Waitangi Treaty Grievance Industry“, also einer Gutmenschenindustrie, die unter dem Deckmantel moralischer und spiritueller Beweggründe den Vertrag knallhart materiell ausschlachtet.

Ich denke, dass die Vorgaben für die Beurteilung von Ansprüchen von Māori gegenüber der Krone außerordentlich großzügig sind und dass es wohl einmalig in der Welt ist, dass Unrecht kompensiert wird, das vor bald 200 Jahren begangen wurde und bei dem gar nicht mehr klar ist, inwieweit die heutigen Beschwerdeführer noch etwas mit den Geschädigten aus dem 19. Jahrhundert zu tun haben. Wir wissen, dass Māori bei der Landprellerei oft zum eigenen Vorteil gegen andere Māori gearbeitet haben. Wäre es nicht der Gipfel des Zynismus den Nachfahren der Kollaborateure noch einmal zu materiellem Gewinn zu verhelfen?

Verpflichtungen werden in den Principles jedenfalls fast ausschließlich der Krone zugewiesen, während Māori im Wesentlichen eine a priori Opferrolle zufällt. Macro-Ereignisse, wie etwa Māoriaufstände, die von früheren neuseeländischen Regierungen zum Anlass genommen wurden einigen Stämmen den Schutz des Waitangi Treaty zu entziehen, siehe oben, scheinen keine Rollen zu spielen (obwohl ich dabei bin das genauer zu recherchieren).

Viele Jahre und Generationen später lässt sich kaum feststellen, ob die Krone Schutz- und Konsulationsverpflichtungen nachgekommen ist oder nicht. Liest man etwa im Settlement-Dokument der Ngāti Hei „There is no evidence that Ngāti Hei were consulted …“ scheint auch eine Beweisumkehr vorzuliegen. Man könne also nicht nachweisen, dass bei Landgeschäften anno 1858 bis 1865 die Krone ihren Verpflichtungen nachgekommen sei Rücksprache mit Ngāti Hei zu halten. Im Zweifelsfall gegen den Angeklagten?

Wenn man sich durch die Webseiten des Waitangi Tribunal und des Office of Treaty Settlements klickt, fällt auf, dass hier nicht besonders auf Transparenz geachtet wird. Es gibt viel virtuelles Papier zu einzelnen Fällen, aber keine Listen und Zahlen zu bearbeiteten Fällen, ausgezahlten Reparationen, abgetretenem Land usw. Das ist kein guter Zustand. Die Waitangi-Bürokratie lässt sich offenbar nicht gerne in die Karten sehen.

Vom Waitangi Tribunal zum Settlement

Es ist wichtig zu verstehen, dass das Waitangi Tribunal nicht verbindlich Recht spricht, sondern Berichte mit Empfehlungen ans OTS weiterreicht, das dann in eigenem Ermessen im Namen der Krone mit Iwi einen Ausgleich verhandelt.

Waitangi Treaty Einigungen zwischen Krone und Iwi (c) OTS

Waitangi Treaty Einigungen zwischen Krone und Iwi (c) OTS

Stand Februar 2018 sind Iwi Claims und deren Regulierung weit fortgeschritten, siehe Grafik. Es ist absehbar, dass innerhalb der nächsten Jahre mit fast allen Māori Iwi eine Einigung erzielt werden wird und danach vielleicht etwas mehr Gelassenheit in die vergifteten Rassenbeziehungen Neuseelands einkehren wird.

Wenn es dazu tatsächlich käme – und nicht zur nächsten Runde von Anschuldigungen und Forderungen – dann wären die 2 Milliarden Neuseelanddollar, die bisher an Iwi ausgezahlt wurden (wir bedanken uns beim OTS für die Zusammenstellung der Daten) gut angelegtes Geld, trotz aller prinzipiellen Einwände, die man gegen den Waitangi-Prozess vorbringen kann.

Waitangi Day: Neuseelands ungeliebter Nationalfeiertag

Seit 1974 wird an jedem 06. Februar der Waitangi Day (anfangs auch New Zealand Day genannt) begangen um die Geburt der modernen neuseeländischen Nation zu feiern. Das geht fast nie ohne Auseinandersetzungen, Streit, manchmal sogar Handgreiflichkeiten ab. Die üblichen ‚Aktivisten‘ bringen die üblichen Parolen zu Rassismus, Wiedergutmachungsforderungen usw. an, während sich große Teile der Mehrheitsgesellschaft, die sich an einem Nationalfeiertag mehr Positives und Einendes wünschen als ein Hass-Spektakel angewidert abwenden.

Der offizielle Waitangi Day Programm findet auf dem historischen Boden (Waitangi Treaty Grounds) statt auf dem am 06. Februar 1840 Hobson und die Māori Häuptlinge den Vertrag unterzeichneten, grob auf den Rasenflächen zwischen dem alten Haus von James Busby (heute Treaty House oder Homestead genannt) und dem Versammlungshaus Te Tii der Ngāpuhi (eröffnet 1881).

Zum Programm des Waitangi Day gehören, beginnend am Vorabend, Begrüßungszeremonien der anwesenden Māori ins Te Tii gefolgt von Ansprachen, wobei im allgemeinen wichtigen neuseeländischen Politikern Redezeit zugestanden wird, obwohl das vom politischen Klima abhängt. Es ist schon vorgekommen, dass neuseeländische Premierminister quasi ausgeladen wurden oder von sich aus nicht auftraten.

Bei Sonnenaufgang des 6. Februar hisst die neuseeländische Marine die neuseeländische Flagge, den Union Jack und „White Ensign“ (die Flagge der britischen Marine) am Flaggenmast auf den Treaty Grounds. Es folgen ein Gottesdienst sowie Tänze und Gesänge der Māori. Waka canoes und ein Marineschiff legen an und stellen die Unterzeichnung des Vertrags von Waitangi nach. Die Feier schließt mit dem Einholen der Flaggen.

Jacinda Arderns ‚historische‘ Waitangi Rede 2018?

In unseren schwierigen Tagen, in denen viele Journalisten ihre Meinung mit den Tatsachen verwechseln, muss man sich die zwölfminütige Ansprache von Premierministerin Jacinda Ardern, die von Meinungsträgern wie NZ Herald, stuff.co.nz und sogar dem britischen Guardian zu einer historischen Großtat verklärt worden ist, schon selbst anschauen um zu einem objektiven Urteil zu kommen.

Faktisch hat unsere Premierministerin eigentlich fast nichts außerhalb des Rahmens der leeren Phrasen der „identity politics“ von sich gegeben. Neben Kindheitserinnerungen und Wünschen für ihr Ungeborenes brachte Frau Ardern es fertig die Gelegenheit für ihre tragenden Themen Flüchtlings– und Umweltromantik zu nutzen. Unsere gemeinsamen „Werte“ seien doch schließlich Gastfreundschaft, Großzügigkeit, Empathie und Verantwortung für die Umwelt. Naja, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit doch wohl eher.

Dann aber kam auch der hohe Wert der Meinungsfreiheit zur Sprache und die Fähigkeit zur Veränderung (die so ein bisschen wie Obamas berüchtigtes „Yes we can“ rüberkam). Was genau man verändern wolle? Nun, nicht weniger als Arbeitslosigkeit, Armut, Wohnungsnot und überproportionale Inhaftierungs- und Selbstmordraten unter Māori. Insgesamt wolle man den Māori ihre Würde zurückgeben und zwar in enger Kooperation mit den Betroffenen um, bildlich, die Kluft zwischen Te Tii und dem Busby Homestead zu überwinden. Daran wolle sich die Premierministerin zukünftig messen lassen.

Das soll historisch sein? Fake news. Frühere Waitangi Ansprachen von anderen Premierministern konnte ich – zum Vergleich – allerdings nicht finden, bis auf einen kurzen Fetzen John Key in dem er die Barbarei des IS anklagt und dafür überschrien wird. Dagegen war Jacinda Ardern der Applaus natürlich sicher. Ähnlich wie die „Treaty Principles“ sieht Ardern die Māori in einer bequemen Opferrolle und den Staat in der Fürsorgepflicht für die scheinbar etwas unbeholfenen Untertanen. Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortung kommen nicht vor.

Für mich eine Rede von gestern. Das hätten die Redenschreiber von Merkel oder Clinton auch hinbekommen. Visionäres für ein Neuseeland des 21. Jahrhunderts, oder wenigstens eine Bekräftigung des nationalen Zusammenhalts fehlen im Weltbild der besten neuseeländischen Premierministerin aller Zeiten. Bedauerlich.

Neuseeland braucht ein universelles Waitangi

Was nimmt man aus all dem mit, außer fundierte neuseeländische Allgemeinbildung?

Einwanderer und vielleicht auch Langzeitreisende in Neuseeland wundern sich oft über die herausragende Bedeutung von allem, das mit Land und Immobilien zu tun hat (auch NZ2Go hat sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt). Wenn man den Schnellkurs in neuseeländischer Geschichte anhand der Causa Waitangi durchläuft, versteht man, dass sich in Neuseeland schon immer alles um Land gedreht hat. Die neuseeländische Obsession mit Immobilien ist quasi historisch gewachsen.

Bemerkenswert und zukunftsfähig finde ich allerdings die Selbstbestimmungsklausel für Eingeborene in Zeiten der Massenmigration. Der Vertrag von Waitangi gesteht den Māori mit großer Selbstverständlichkeit zu, dass sie an der Gesellschaft der britischen Neuankömmlinge teilnehmen, diese ablehnen oder ein Zwischenmodell des Zusammenlebens wählen. Ohne äußeren Zwang.

Im seit zwei oder drei Jahrzehnten multikulturalisierten Neuseeland scheinen diese Rechte nicht zu gelten. Von der angestammten Gesellschaft wird ganz im Gegenteil erwartet, dass sie asiatische, muslimische usw. Neubürger zu integrieren hat oder sich sogar deren Gepflogenheiten anpasst. Ein Opt-out, eine Ablehnung und das strikte Verbleiben im eigenen kulturellen Rahmen sind nicht vorgesehen und werden gerne als xenophob bis rassistisch abgewertet.

Es ist schwer solche Doppelstandards nicht als institutionellen Rassismus oder gar Staatsversagen zu begreifen. Ich denke, dass der Treaty of Waitangi hier – unbeabsichtigt – in eine neue Richtung weisen könnte. Es ist Zeit für einen erneuerten Gesellschaftsvertrag in Neuseeland, der die kulturellen Eigenheiten der seit Generationen hier lebenden Wert schätzt und ihnen dieselben Rechte einräumt wie Māori. Eine moderne Weiterentwicklung des Treaty of Waitangi hätte Frau Arderns Rede tatsächlich eine historische Dimension verliehen. So blieb der Waitangi Day 2018 leider zwischen einer schmuddeligen Vergangenheit und einer gespaltenen Gegenwart gefangen. Eine Rede, die sich ausschießlich mit den Befindlichkeiten einer gesellschaftlichen Gruppe auseinandersetzt ist für einen Nationalfeiertag in jedem Fall unangemessen.

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