Opinion: Kiwidollar auf Allzeithoch


Aus aktuellem Anlass und mit gemischten Gefühlen.

So schnell können sich die Verhältnisse ändern. Vor ziemlich genau zwei Jahren, Mitte 2009 war der Kiwidollar (NZD) auf ein Allzeittief zum Euro gefallen. Damals bekam man etwa 2,55 NZD für einen Euro. Gerade eben, also Stand 1. August 2011 hat der Kiwidollar ein Allzeithoch erreicht. Für einen Euro gibt es jetzt weniger als 1,63 NZD [Update Februar 2012: es gibt mittlerweile noch 1,56 NZD für einen Euro, nachdem auch die EZB massiv in die Politik und Praxis des Gelddruckens eingestiegen ist].

Wie konnte es dazu kommen?

Ich habe mich bereits in anderen Artikeln zum Thema Kiwidollar als Spekulationsobjekt geäußert. Trotzdem ist die plötzliche Renaissance dieser Währung außergewöhnlich und in ihrer Vehemenz unerwartet.

Die Muster nach denen sich die Kursentwicklung der letzten Monate und Jahre gerichtet hat, haben sich in meiner Sicht der Dinge profund geändert. Als 2009 die Kreditflüsse zu versiegen drohten (Neuseeland hat eine hohe per Capita Verschuldung, weil viele Kiwis für das Eigenheim massiv Kredite aufgenommen haben – der Staat selbst ist weniger verschuldet als beispielsweise Deutschland), flohen die Carrytrader vom scheinbar sinkenden Schiff: der Kiwidollar war mit „risk appetite“ korreliert. Wenn sich also die Spekulanten wohl in ihrer Haut fühlten, und Risiko gehen wollten, kauften sie NZD, um von dem relativ hohen Zinsniveau in Neuseeland zu profitieren. Das heißt, gingen die Kurse an den Aktienmärkten hoch, stieg auch der Neuseelanddollar, und umgekehrt. Relativ zum Euro und US Dollar wurde der NZD also als spekulative Investition betrachtet, wegen all der Schieflagen in der wirtschaftlichen Struktur des Landes, der Anfälligkeit für Probleme auf den Kreditmärkten usw.

Schönheit ist aber relativ. In den USA wird seit 2009 sehr viel Geld gedruckt („quantitative easing“) und an die Banken der Wall Street zu Bestkonditionen verteilt, Geld, das angeblich zur Stützung der amerikanischen Binnenliquidität gebraucht wurde, aber dort nur partiell ankam, und statt dessen den Weg in die internationalen Märkte fand. Stand Mitte 2011 hat die Gelddruckerei  zwar wenig Gutes für die US Konjunktur bewirkt, aber das Vertrauen der Anleger in die Währung US Dollar unterminiert. Good-bye US Dollar als sicherer Hafen in stürmischen Zeiten.

Gleichzeitig haben es die EU Europäer fertig gebracht mit jahrelanger konsequenter Verletzung der Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrags, der Aushöhlung der europäischen Verträge im allgemeinen („No Bailout“ Klausel) und dem Bruch der Statuten der EZB (kein Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB), das Vertrauen in das System EU nachhaltig zu stören. Also fällt bis auf weiteres auch der Euro als krisenfestes Bollwerk aus.

Damit erscheinen plötzlich die strukturellen Probleme der neuseeländischen Wirtschaft zweitrangig. Der Kiwidollar wird zur Zeit nicht mehr als Risikoinvestition, sondern als relativ sichere Anlage gesehen (wie der Australische Dollar, die Norwegische Krone und der Schweizer Franken). Die Gefahr, dass die internationalen Kreditmärkte, an denen sich die neuseeländischen Banken und Regierung tagtäglich refinanzieren müssen, (also alte Schulden durch neue Schulden tilgen) wieder verstopfen, erscheint ebenfalls gering, da die USA signalisiert haben jeden erdenklichen Halbgrund wahrzunehmen, um mehr Geld zu drucken, das dann wieder u.a von Neuseeland geliehen werden kann.

Verstärkend wirken strategische Faktoren, wie zum Beispiel die derzeitige Verschiebung des wirtschaftlichen Machtgefüges von West nach Ost, und der Annahme, dass Neuseeland und der große Bruder Australien im Sog des Chinabooms Nutznießer der neuen Verhältnisse sind und weiterhin bleiben. Zudem ist der Neuseelanddollar in den letzten Wochen gehäuft in deutschen Tageszeitungen aufgetaucht, als sogenannte „Rohstoffwährung“, die in Zeiten globaler Instabilität und sich verstärkender Inflation eine gute Investmentalternative darstellen soll.

Kurzfristfaktoren wie Versicherungsausschüttungen von europäischen Rückversicherern wegen der Erdbeben in Canterbury – die in NZD beglichen werden müssen, die man vorher auf den Devisenmärkten aufkaufen muss – spielen sicher auch eine Rolle.

Hätte man mich vor einigen Jahren gefragt, ob ich denke, dass der Kiwidollar fast Parität mit dem US Dollar erreichen würde, und auf Allzeithochs zum Euro steigen würde, hätte ich wahrscheinlich nur eine mitleidige Miene gezogen. Die Inkompetenz der USA ihre strukturellen Probleme anzugehen, bzw. der EU die Politik des Schuldenmachens einzudämmen, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.

Die Realität hat mich eingeholt. Das „new normal“ ist wohl eine noch größere Volatilität (von Allzeittief nach Allzeithoch in zwei Jahren ist Volatilität pur) und Unvorhersehbarkeit, als sie schon die letzten Jahre geprägt hat. Langfristig bekam man für einen Euro im Schnitt etwa 2 Kiwidollar. Ob die Kurse in diese Richtung zurück schwingen, ist schwer zu sagen. Wenn sich bestätigen sollte, dass die Euroländer sich – wie es den Anschein hat – nicht in der Lage sehen, aus der Schuldenwirtschaft auszusteigen und statt dessen noch ein paar Jahre in gewohntem Stil weiter agieren, bis auch Deutschland seine Kreditwürdigkeit einbüßt, dann ist Pessimismus für den Euro berechtigt. Andererseits reflektiert die Stärke des Kiwidollar – wie dargelegt – eher die Kraft eines Einäugigen unter Blinden, statt echte Wirtschaftspotenz. Äußere Schocks könnten zu einem Absturz führen, wie wir ihn schon bei der Fukushimakrise, und den Canterbury-Erdbeben ansatzweise miterlebt haben.

Was heißt das alles real?

Für die Neuseeländer zunächst einmal eine willkommene Schwemme an Kaufkraft. Importe inkl. Benzin und bisher teure Urlaubsreisen nach Übersee sind erschwinglich geworden, und das nutzen die Kiwis zu ihren Gunsten. Ich verdenke es ihnen nicht, denn besser das Geld jetzt wegfeiern, als wie viele Deutsche brav zu sparen, um dann über Inflation und Euro-Rettungspakete zur Belohnung praktisch enteignet zu werden. Umgekehrt wird der Neuseelandurlaub für Deutsche noch teurer, als er es ohnehin schon immer war. Im Gegensatz zu Deutschland, wo ein weicher und entwerteter Euro von Politik und Medien als Errungenschaft zur Stützung der Exportwirtschaft geradezu zelebriert wird, haben die Neuseeländer keine Angst um ihre primären Absatzmärkte. Agrarrohstoffe verkaufen sich trotz des hohen Dollarkurses noch immer gut, auch wenn es in den letzten Wochen Preisverluste z.B. bei den Milchauktionen von Fonterra gegeben hat.

Politisch kommt der hohe Kiwidollarkurs der Regierung, die in November 2011 wiedergewählt werden möchte, ebenfalls entgegen. Wegen der sich verbilligenden Importe wird die Inflation nominal auf niedrigem Niveau gehalten (wobei sich Nahrungsmittelpreise stark verteuert haben und zu Unmut in ärmeren Bevölkerungsschichten führen), wodurch die Notenbank einen Vorwand hat die Zinsen nicht zu erhöhen, was wiederum den vielen Kiwis, die Kredite aufgenommen haben, gerade recht ist.

Gesellschaftspolitisch gesehen ist die Situation umstrittener. Es ist klar, dass im derzeitigen Währungsumfeld Exporte, die nicht aus dem klassischen Landwirtschaftsbereich kommen, auf dem Weltmarkt einen schweren Stand haben. Dadurch lässt sich strukturell die Basis der neuseeländischen Wirtschaft nicht verbreitern. Der Exodus relativ gut ausgebildeter Kiwis setzt sich entsprechend fort, denn gut bezahlte Jobs in zukunftsorientierten Branchen entstehen in Neuseeland praktisch nicht. Gleichzeitig besteht die neuseeländische Abhängigkeit von Importen und billigen Krediten aus dem Ausland unvermindert fort.

Es ist viel krakeelt worden, dass das eine unhaltbare Situation sei, die die Zukunft des Landes für ein paar iPads verschachert. Genausoviel regte sich ein Teil der veröffentlichten Meinung über die aufgeblähten Immobilienpreise auf, die jungen Kiwis praktisch die Möglichkeit verbauen, sich ein Haus zu kaufen. Passiert ist trotz allem nichts. Demokratie im Stil von Neuseeland (oder auch Deutschland) ist nun einmal auf Kurzfristigkeit ausgelegt. So können also der bekannte Wirtschaftskommentator Bernard Hickey und Freunde nach staatlicher Intervention im Devisenmarkt schreien, oder die Schaffung eines Zukunftsfonds nach norwegischem Vorbild fordern, der dem Markt Liquidität abzapfen soll, die unproduktiv in Konsum und Hauspreisblasen verpufft: geschehen wird es meines Erachtens nicht. Was ich für wahrscheinlicher halte sind ‚Lösungen‘ a la Tony Alexander von der BNZ, der dem Problem unerschwinglicher Immobilienpreise mit der Senkung von Qualitätsanforderungen für den Hausbau beikommen möchte – als ob neuseeländische Häuser qualitativ nicht schon unattraktiv genug wären.

Ein Fazit, oder gar eine Vorhersage ist am Ende des Artikels … schwierig. Einerseits und andererseits … ich enthalte mich erst Mal der Stimme. Es ist einerseits schwer vorstellbar, dass der Kiwidollar gegenüber dem Euro noch viel weiter an Wert gewinnen kann, es ist andererseits durchaus vorstellbar, dass die Damen und Herren Merkel, Sarkozy, Trichet, Juncker usw. zu all ihren Fehlentscheidungen der Vergangenheit noch ein paar drauflegen werden. Und falls Italien und/oder Spanien wirklich zahlungsunfähig werden, ist sowieso alles möglich.

Ich beobachte und berichte weiterhin über die Situation, und beschränke mich wie im Artikel zu Renten darauf, zu raten bei langfristigen Projekten wie z.B. der Altersabsicherung, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, sondern – wenn möglich – nach Währungen zu diversifizieren. Das gilt für in Neuseeland lebende Deutsche zwar umso mehr, aber durchaus auch für die Daheimgebliebenen.


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