FactSheet: Lohnniveau & Jobsuche


Diesen Artikel möchte ich mit einem Zitat aus der Wikipediaseite “Economy of New Zealand” (das CIA World Fact Book und www.nationmaster.com -> Statistics enthalten übrigens auch viele wirtschaftliche Kernstatistiken zu Neuseeland) einleiten:

The New Zealand economy has recently been perceived as successful. However, the generally positive outlook includes some challenges. New Zealand income levels, which used to be above much of Western Europe prior to the deep crisis of the 1970s, have never recovered in relative terms. The New Zealand GDP per capita is for instance less than that of Spain and about 60% that of the United States. Income inequality has increased greatly, implying that significant portions of the population have quite modest incomes.

Unter der Annahme, dass sich viele potentielle deutsche Auswanderer eher als Durchschnittsbürger klassifizieren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie selbst nach erfolgreicher Jobsuche zur “significant portion of the population with quite modest income” gehören werden. Was heißt “modest income” nun in Zahlen? Hier verweise ich einfach auf das trademe-Portal (hat so etwas wie den Rang von eBay in Deutschland, bietet aber neben einer Verkaufsplattform auch andere Dienstleistungen): http://www.trademe.co.nz/Trade-me-jobs/Salary-guide/index.htm. Die Zahlen sind in vielen Bereichen eher, nun ja, “modest” eben, vor allem relativ zu den Lebenshaltungskosten. Pi-mal-Daumen würde ich übrigens sagen, dass bei einem Single ein Einkommen von etwa 80000 NZD pro Jahr nötig ist um eine Existenz zu führen, bei der man sich um Geld keine Gedanken machen muss.

Überweisen Sie Geld ins Ausland, zu Kursen die Ihre Bank Ihnen nicht bieten wird

Arbeitsrecht & ‚Arbeitskultur‘

Und nun zu Kleinigkeiten wie Arbeitsrecht (geregelt im Employment Relations Act 2000), Urlaubsansprüche (Holidays Act 2003) usw. Der gesetzliche Urlaubsanspruch liegt bei 20 Tagen, also 4 Wochen, pro Jahr. Kündigungsschutz gibt es auf gesetzlicher Basis keinen nennenswerten. Eine gesetzliche Kündigungsfrist existiert meines Wissens nicht, man kann also prinzipiell von heute auf morgen kündigen bzw. gekündigt werden. Vertraglich sind allerdings Kündigungsfristen von einer bis vier Wochen üblich. Der gesetzliche Mindestlohn liegt derzeit (2011) bei 12,75 NZD (etwa 7 Euro) pro Stunde und wird jedes Jahr neu festgesetzt. Dinge wie Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt, Urlaubsgeld usw. sind in Neuseeland unbekannt. Mehr Info und Details sind zu finden auf www.ers.dol.govt.nz. Das alles schließt natürlich nicht aus, dass man in seinem Arbeitsvertrag andere, hoffentlich bessere Konditionen aushandelt. Trotzdem: Neuseeland ist generell eher etwas für Arbeitgeber als für Arbeitnehmer (wobei es aber auch Ausnahmen gibt). Und ich würde sagen für Deutsche gilt das ganz besonders, denn aus einer Welt kommend in der materiell fast alles besser entwickelt ist als in Neuseeland, entsteht bei vielen die Tendenz zu meckern, oder gar Verbesserungsvorschläge zu machen – was gar nicht gerne gesehen wird.

“Tall poppy syndrome” ist ein hier geläufiger Term, der umschreibt, dass Neuseeland (wie auch Australien) klar dem Mittelmaß frönt, also tendiert Leute, die über dem Durchschnitt liegen, zurecht zu stutzen. Das betrifft auch Einheimische, und Einwanderer umso mehr. In der Tat ergreifen talentierte und ambitionierte Neuseeländer selbst oft genug die Flucht nach vorn und verlassen Neuseeland in Richtung Australien, Großbritannien, USA, zunehmend aber auch nach Asien oder in den Mittleren Osten. Manche Kiwis kommen in gesetzterem Alter nach Neuseeland zurück, viele gehen dem Land aber leider für immer verloren, weshalb das offizielle Neuseeland auch stets verzweifelt nach „Fachkräften“ im Ausland sucht. Sound familiar? Ja, das hört sich ein bisschen an wie die regelmäßigen Fachkräftedebatten in Deutschland, denn auch da wird wenig über die Gründe der Abwanderung deutscher Fachkräfte nachgedacht, und umso mehr auf die Rekrutierung aus Übersee gesetzt.

Viele Deutsche, die sich Neuseeland als Auswanderungsland ausgesucht haben, schlägt der weitgehende Wegfall des gewohnten arbeitsrechtlichen Sicherungssystems erst mal ein wenig vor den Kopf. Aber man gewöhnt sich.

Chancen

Genauso viele Deutsche erkennen auch die Chance, die ihnen ihre zumeist fundierte deutsche Berufsausbildung hier verschafft. Ein Bäcker in Deutschland ist zum Beispiel einer von vielen, wird im öffentlichen Leben nicht zur Kenntnis genommen, hat keine besondere Lebensperspektive, außer eben ein Bäcker zu sein. Ein deutscher Bäcker in Neuseeland ist beinahe ein Unikum und kann mit seinen Fähigkeiten und etwas Geschick und Pragmatismus schon fast seine Preise diktieren und Arbeitsbedingungen aussuchen (siehe Diehl-Artikel). Voraussetzung ist aber eine solide Qualifikation und ein Bedarf für diese Qualifikation im neuseeländischen Wirtschaftssystem. Pauschal würde ich sagen, dass Neuseeland goldenen Boden für deutsche Handwerker hat, vor allem im Bereich Bauwesen, aber auch Elektriker oder Klempner, wie auch Bäcker und Metzger. Alles was mit Dienstleistungen zu tun hat, zum Beispiel Lehrer, Tätigkeiten im medizinischen Umfeld und die Sparte IT hat auch überdurchschnittlich gute Chancen schnell im neuseeländischen Arbeitsmarkt unter zu kommen. Die Skills Shortage Liste der Einwanderungsbehörde (www.newzealandnow.govt.nz/skills-needed-in-new-zealand~18.html) spiegelt diese Realitäten natürlich wider. Berufe im Bereich Industrie, zum Beispiel Maschinenbauingenieure, und auch akademische Berufe werden es schwerer haben, und vielfach keine Tätigkeit finden, die ihrem angestammten Gewerbe entspricht. Falls das ein Problem ist, sollte man sich z.B. Australien als Alternative überlegen. Das muss es aber nicht sein, wenn man nicht nur von Deutschland nach Neuseeland umziehen will, sondern in Neuseeland auch etwas Neues tun möchte. Ich kenne zum Beispiel einen ehemaligen deutschen Ingenieur, der seinen gut bezahlten Job in Deutschland aufgab und die ersten Jahre in Neuseeland in verschiedenen Gelegenheitsjobs verbrachte, bevor er in Whitianga auf der Coromandel Halbinsel ein florierendes „Carving Studio“ aufbaute, also einen Laden in dem man nach alter Maori-Tradition polynesische Ornamente aus verschiedenen Materialien unter Anleitung schnitzen und mitnehmen kann. Tolle Sache, aber er ließ dafür die Sicherheit des deutschen Edelarbeitsplatzes sausen, und tauschte sie gegen mickrig bezahlte, unsichere Jobs ein – um in Neuseeland Freiheit und Selbstverwirklichung zu finden.

Herausforderungen

Man fasse also zusammen: mäßige Einkommen, hohe Lebenshaltungskosten und fast schon absurd hohe Preise für Häuser und Grundstücke – und man ist in der neuseeländischen Realität angekommen. Wer tatsächlich an eine Auswanderung nach Neuseeland denkt, sollte sich diesen unbequemen Realitäten stellen, um nicht erst nach dem Abbruch der Zelte in Deutschland in der Wirklichkeit der neuen Heimat an zu kommen. Am besten ist es natürlich, sich schon von Deutschland aus einen Job in Neuseeland zu suchen, dann wird das Abenteuer kalkulierbar. Dazu habe ich im Artikel „Die Offenheit der Kiwis“ einige Anmerkungen gemacht. Ein Problem bei der remote-Jobsuche ist, dass sich viele Firmen nicht gerne darauf einlassen, weil sie erstens Vorstellungsgespräche nicht nur am Telefon oder per Videokonferenz führen wollen, und weil die Erfahrung zeigt, dass es sogar nach angenommenem Jobangebot etliche No-shows gibt, d.h. die Leute nehmen mehrfach Jobs an und tauchen dann am ersten Arbeitstag einfach nicht auf, oder sie überlegen sich das mit der Auswanderung ganz und kommen erst gar nicht nach Neuseeland. Ich habe das Problem zum Beispiel dadurch gelöst, dass ich einem potentiellen Arbeitgeber anbot, zum Vorstellungsgespräch nach Neuseeland zu fliegen, falls er 50% der Kosten übernähme. Falls der Arbeitgeber verzweifelt genug sucht, oder man wirklich über die Maßen gut qualifiziert ist, sollte man sich auch nicht scheuen, sich die ganze Reise bezahlen zu lassen. NB: eine gewisse Chuzpe kommt hier sowieso ganz gut an. Bloß nicht das eigene Licht unter den Scheffel stellen.

Praktisches

Ich fasse hier kurz zusammen. Jobseiten:

www.seek.co.nz

www.trademe.co.nz -> Jobs

www.jobs.co.nz

jobs.nzherald.co.nz

Bei Seek kann man auch Hinweise dazu finden (Salary, Advice & Tips -> The Ultimate Resume Guide), wie ein Lebenslauf aus zu sehen hat. Beiläufig: ein Foto kann man sich sparen. Hier wird nicht danach eingestellt, ob man eine nette Nase hat, oder nicht. Außerdem meint man es hier halbwegs ernst mit dem Verbot der Altersdiskriminierung. Deshalb ist es unnötig ein Geburtsdatum an zu geben.

Vorsicht bei Vermittlern und anderen guten Ratgebern

Übrigens verwende ich die Begriffe Einwanderung/Auswanderung nicht gerne, denn sie klingen zu rigide und passen eigentlich nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Die Menschen reisen heute nicht mehr in Segelschiffen ohne Rückfahrkarte. Viele können, wenn es ihnen in der neuen Heimat nicht gefällt, ohne große Probleme ins Ursprungsland zurückkehren, wahrscheinlich um einige Euro ärmer, aber um viele Erfahrungen reicher. Und wenn wir schon beim Thema weder-Fleisch-noch-Fisch sind, dann noch eine Meldung aus dem Schattenreich: einige Deutsche in Neuseeland, aber genauso Angehörige anderer „Communities“, versuchen sich zumindest einen Teil ihrer Einkünfte dadurch zu sichern, dass sie, übertrieben gesagt, die eigene Community kannibalisieren. Sprich, da werden horrende Beratergebühren genommen, um ein paar Einwanderungsformulare und einen Antrag auf ein Bankkonto auszufüllen, die Leute werden unter Verschleierung der Fakten an obskure Bildungseinrichtungen oder einfach nur Touristikunternehmen verwiesen, gegen Werbegelder, versteht sich. Ich kann die Versuchung verstehen, seinen Wissensvorsprung in Kapital umsetzen zu wollen, und möchte hier nicht den Moralapostel mimen. Wir sind alle erwachsen und nur weil es um Neuseeland geht, muss man nicht alles glauben, was einem gesagt wird. Auf alle Fälle möge man vorsichtig sein, wenn man im Wildwuchs der Neuseeland-Internetseiten an eine gerät, die nur Hurra-Meldungen verbreitet, und vor Werbung und Schleichwerbung überquillt. Auch bei Auswanderungsberatern sollte man ein wenig recherchieren, bevor man zum Klienten wird.

Bei einigen Fantasie-Aussagen im Internet über angeblich super günstige Lebenshaltungskosten oder geringe Kriminalitätsraten in Neuseeland konsterniere ich schon fast. Oder wenn die Hurrameldungen nach hinten los gehen. Ich erinnere mich an eine Meldung, die aus dem New Zealand Herald (www.nzherald.co.nz) raus übersetzt worden war, die besagte, dass Neuseeland führend in der Rangliste der Länder ist, in der man ungehindert geschäftlich tätig sein kann. Prima, wenn man mit dem Ziel kommt, ein Unternehmen zu gründen, aber für potentielle Arbeitnehmer (wohl die Mehrheit der Leserschaft eher touristischer Webseiten) heißt das, dass man im Wildwestkapitalimus angekommen ist.

Warum das Ganze?

Wer in Neuseeland leben möchte, braucht nach all dem Hartherzig-Quantitativen das ich hier präsentiert habe (sorry!), gute Gründe dazu. Nach Neuseeland zu gehen, ist kein No-Brainer, wie es vielleicht die USA noch, und Australien neuerdings sind, weil es dort massenweise (auch für Euro-Verhältnisse) gut bezahlte Jobs gibt, plus das Gefühl der Freiheit, das uns in Deutschland oft fehlt. Meiner Meinung nach ist unbedingte Voraussetzung, um in Neuseeland dauerhaft glücklich zu werden, ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit der Natur, gepaart mit der Lust an Freiheit. Neuseeland bietet viel Platz, und umwerfend schöne Landschaften. Fast einmalig in der Welt ist, dass die neuseeländischen Kulturlandschaften (Wiesen, Weiden usw.) unserer europäischen Heimat stark ähneln, während die Naturlandschaften für unsere Empfindung sehr exotisch sind, man findet sich also zum Teil wieder, und andererseits gibt es auch genug Unterschiede, eine Ausgewogenheit, die es leicht macht, dieses Land lieben zu lernen. Diese Dinge muss man wert schätzen, um damit die unbestreitbaren Nachteile des Alltagslebens in Neuseeland kompensieren zu können.

Und muss es überhaupt sein?

Ein anderer Weg ist es, sich gar nicht erst auf die Auswanderung einzulassen, sondern seine Zeit zwischen Deutschland und Neuseeland aufzuteilen – dazu werden aber wohl nur die Wenigsten Gelegenheit haben, und es birgt die Gefahr den Schritt ins neue Leben bis Ultimo hinaus zu zögern.

Ein weiterer pragmatischer Weg ist es, nicht unbedingt in der Sturm-und-Drang Phase des Lebens in Neuseeland aufzutauchen (vielleicht eignen sich dazu besser wirtschaftliche Hotspots wie China, Indien, oder der Mittlere Osten, oder sogar noch die USA), sondern vielleicht eher zur zweiten Lebenshälfte nach Neuseeland zu kommen, wenn ein materieller Unterbau schon erarbeitet ist, und man sich weniger mit der Generierung von Einkünften beschäftigen muss.

***

Auch interessant:


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.