Esmonde Road ist heute eine vierstreifige Hauptstraße, die von der Autobahn, die über die Brücke von Auckland Richtung Norden führt, rechts abgeht, und an ihrem östlichen Ende in die Lake Road mündet, die nördlich in Takapuna und südlich in Devonport endet. Esmonde ist sehr stark befahren, und wenn man sich traut die Straße im Motorengetöse herunterzulaufen tun einem die Anwohner fast leid. Optisch mit das Beste was Auckland zu bieten hat, aber akustisch ein Moloch.
Schwer vorzustellen jedenfalls, dass Esmonde Road bis in die 1950er Jahre hinein noch nicht einmal eine Teerdecke hatte, und dass das Haus bei Nummer 14a einst ein Ort war, an dem nicht nur Neuseelands bedeutendster Schriftsteller lebte, sondern dort auch seinen Lebensunterhalt über viele karge Künstlerjahre mit extensivem Anbau von Obst und Gemüse bestritten hatte.
Und ultimativ überfordernd in all dem Lärm und fast schon Vibrieren der Fahrbahn ist der Gedanke diesen Schriftsteller, Frank Sargeson, tatsächlich noch an seinem alten Häuschen besuchen zu können, in gewisser Weise. Er ruht als Häuflein Asche eingegraben unter dem Baum links vom Haus. Mein Gott, übrigens, als guter Deutscher denkt man natürlich sofort an die Unmöglichkeiten teutonischer Friedhofsordnungen … Asche einfach so, erstens, warum nicht, und zweitens hat man es einfach gemacht um dem letzten Willen des Künstlers nachzukommen. Sagt einiges über Mentalitäten aus.
Wenn man Frank Sargesons Lebenslauf durchsieht – ich möchte ihn hier nicht herunterbeten, sondern füge ihn an das Ende des Artikel, in einer gekürzten Übersetzung der im Haus ausliegenden Fassung – fallen ein paar Dinge auf, die in ein neuseeländisches Muster fallen.
Sargeson hatte anscheinend schon in frühen Jahren große Probleme mit seiner Identität gehabt, sowohl familiär, weil er die Heuchelei seiner streng protestantischen Umgebung nicht ertragen konnte, als auch national, weil er nach kurzem wie stürmischem Aufenthalt im scheinbar zivilisierten Europa doch zur Erkenntnis kam, dass er als Neuweltler eine eigene Spezies begründete, und last but definitely not least sexuell als Homosexueller, der in einer Zeit aufwuchs in der Sodomie noch illegal war.
Vielleicht kann man zu den Spannungen und Brüchen auch noch den beruflichen Bereich zählen, also Sargesons Metamorphose von einem angehenden Anwalt zu einem Dichter. Wie auch immer, letztere Entscheidung – gegen Winkeladvokatie – führte zu einem mehr als spartanischen Lebensstil. 14a Esmonde war nie ein richtiges Haus. Seine Eltern hatten ihm die Familiendatscha (neuseeländisch „bach“) überlassen, und Ende der 40er Jahre lies er die Hütte in ihre jetzige Form umbauen. „Fibrolite“ nennt sich das Material übrigens, und sieht aus wie Span- oder Rigipsplatten, und ist wohl auch etwas in der Art.
Trotz aller Unabhängigkeitserklärungen und Freiheitsdränge fällt mir übrigens auf, wie großzügig die Familie, mit der er nichts zu tun haben wollte, ihm gegenüber war. Das Bach-on-Esmonde bekam er einfach so von der Familie übertragen. Daneben schenkte ihm der Vater, dessen Namen er nicht einmal tragen mochte (Sargeson ist angenommen, nicht angeboren) noch ein Stück Land, und – wie gesagt – den Umbau der alten Hütte in eine neue Hütte finanzierte er aus einer Erbschaft und durch Unterstützung von Vater und Onkel. Vielleicht war Sargesons Familie ja doch nicht so schlimm … Darüber hinaus verlies sich Sargeson finanziell weitgehend auf Vater Staat, über verschiedene Arten von Sozialhilfe, beginnend mit seiner TB-Erkrankung in den 1940ern. Ich weiß nicht, ob das heute überhaupt noch funktionieren würde, und was man daraus zu folgern hat, mag der Leser selbst entscheiden.
Das Haus ist sehr klein, funktional, minimalistisch. Heute könnte man es fast ein „bedsit“ nennen, also Küche, Wohn/Arbeitszimmer und Schlafzimmer in einem Raum. Na gut, Sargesons Schlafkoie ist ein wenig abgetrennt, und man betritt das Haus über so eine Art Vorzimmer. Dieser Miniraum wurde nachträglich angebaut, um Sargesons große jahrzehntelange Liebe, Harry Doyle, unterzubringen, als dieser terminal erkrankte und Pflege benötigte. Davor ging Harry im Sargeson-Haushalt ein und aus wie es ihm passte, hatte Affären, verschwand, tauchte wieder auf usw. was Erwachsene mit ihren Leben eben so anstellen.
Seine Warmherzigkeit – die uns allen sympathisch sein muss – beschränkte sich aber nicht nur auf Harry, sondern alle möglichen „misfits“ und Sonderlingen, die ihm so über den Weg liefen. Neben vielen anderen gestrandeten Literati lebte Janet Frame mehr als ein Jahr in einer „Army Hut“ (weiß jemand wie so etwas aussieht?) hinter dem Haus, nachdem sie die Psychiatrie verlassen hatte. Die Hütte existiert heute nicht mehr, nur noch ein Teil der Trittsteine, die einmal in die Hütte geführt hatten, und heute ins Leere bzw. gegen einen Lattenzaun führen.
Vanessa Seymour von der „Auckland Library“, die mir freundlicherweise die Hütte zeigte und Frank Sargeson noch selbst von seinen täglichen Spaziergängen in Takapuna kannte, erzählte, dass die Army Hut kein eigenes Klo hatte, und Janet Frame des nachts am Bett von Frank vorbei das Örtchen aufsuchen musste, was halbwegs peinlich war und zur Errichtung eines Vorhangs führte. Das Klo ist übrigens ein Unikum. Irgendjemand hatte Frank davon überzeugt, dass die Hockenhaltung die natürlich menschliche Art wäre, und deswegen gesünder. Heraus kam dann dieses komische Ding, siehe Foto.
Die Wasserspuren an den Decken und Wänden sind zwar häßlich, aber die Lecks im Dach sind inzwischen repariert. Trotzdem könnte das Häuschen eine Generalüberholung gut gebrauchen, nicht nur um ihm ein wenig mehr Würde zu verleihen, sondern auch um es gemütlicher für die Veranstaltungen zu machen, die noch heute in dem Haus abgehalten werden. Wie auch immer, ich bin mir sicher Sargeson hätte sich gefreut, dass seine Hütte auch lange nach seinem Tod Leben beherbergt.
Idealerweise sollte auch noch das Grundstück zurückgekauft werden, auf dem heute das rote Haus im Foto oben steht, um den ursprünglichen Gemüsegarten wiederherzustellen, und vielleicht Platz für größere Versammlungen zu schaffen. Bei den heutigen Preisen wird das wohl erst mal ein frommer Wunsch bleiben. Übrigens wurde das Grundstück nicht aus Gewinnsucht verkauft, sondern um durch den Erlös den Frank Sargeson Trust Stipendien zu stiften, der seit seiner Einführung viele neuseeländische Schriftsteller unterstützen konnte. Aber zu einem hohen Preis.
Der Vollständigkeit halber wollte ich hier noch ein Spendenkonto oder so etwas angeben, … aber das gibt es anscheinend nicht, außer dieser Schachtel im Haus:
Ich frage bei Gelegenheit bei den Verwaltern des Trusts, der Anwaltskanzlei Buddle Findlay nach, ob man dorthin überweisen kann.
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Ich möchte mich an dieser Stelle bei Kirsty Webb und Vanessa Seymour von der Auckland Library in Takapuna dafür bedanken meinen Besuch im Sargeson Haus ermöglicht zu haben, sowie für Vanessas fundierte Erklärungen und amüsante Geschichten. Über library.northheritage@aucklandcouncil.govt.nz kann übrigens jeder einen Besichtigungstermin ausmachen.
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Frank Sargesons Kurzlebenslauf
23 März 1903: Als Norris Frank Davey in Hamilton geboren
1921: Verbrachte Zeit mit seinem alleinstehenden Onkel Oakley Sargeson auf dessen Farm in Okahukura, King Country, Waikato; begann als juristischer Angestellter in Hamilton zu arbeiten
1924: Die Ferienhütte in Takapuna wird Familieneigentum
1925: Verlässt die Familie im Krach, wohnt im YMCA in Auckland und studiert Jura in Teilzeit
1926: Abschluss als Anwalt
1927: Reise nach Europa – Großbritannien, Frankreich, Schweiz, Italien
1928: Rückkehr nach Neuseeland; arbeitet als Beamter in Wellington
1929: Muss wegen homosexuellem Vorfall vor Gericht und wird zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, unter der Bedingung diese Zeit auf der Farm des Onkels zu verbringen
1931: Verlässt Okahukura, zieht permanent nach Takapuna, und ändert seinen Namen zu Frank Sargeson
1935: Trifft die Liebe seines Lebens, Harry Doyle, einen gesperrten Pferdetrainer
1936 – 40: Erste Werke werden veröffentlicht, u.a. in der Christchurcher „Tomorrow“ Zeitschrift, „Conversations with my Uncle“, „White Man’s Burden“, „A Man and His Wife“
1940: Wegen Tuberkulose operiert; dadurch entrinnt er auch der Kriegsteilnahme
1946-48: Alte Hütte abgerissen, und durch die derzeitige ersetzt; eine zusätzliche „Army Hut“ Hütte in den Garten gestellt
1949: Veröffentlichung von „I Saw in my Dream“
1950-51: Maurice Duggan, Peter Dawson, Renate Prince leben nacheinander in der Army Hut
1952: Erhält eine Auszeichnung von QEII
1955-58: Janet Frame lebt in der Army Hut und schreibt ihren ersten Roman „Owls Do Cry“; Janets Produktivität bedrückt Frank ein wenig, und Janets muss gehen. Danach zieht Kevin Ireland ein, und danach wieder Maurice Duggan.
1959: Esmonde Road wird mit Asphalt befestigt
1961: Wird auf einem Auge fast blind
1965: „Wrestling with the Angel“ und „Memoirs of a Peon“ erscheinen
1967-68: Harry Doyle zieht in die Haupthütte ein; das zusätzliche Zimmer für ihn wird errichtet
1971: Harry Doyle stirbt
1973: Ehrendoktor der Universität Auckland
1976: Erste Anzeichen von Demenz
1. März 1982: Stirbt an einer Reihe schwerer Erkrankungen im nahen North Shore Hospital
1987: Der Frank Sargeson Trust nimmt seine Arbeit auf; erste neuseeländische Schriftsteller arbeiten „in residence“ im Frank Sargeson Centre der Universität Auckland