Opinion: Ein New Deal für Neuseeland?


Man lernt nicht aus. Wer – wie ich und wahrscheinlich auch der gerade aus dem Amt geschiedene neuseeländische Premierminister Bill English – gedacht hatte, dass die New Zealand National Party der natürliche Koalitionspartner der rechtskonservativen New Zealand First (NZF) sein müsste, sieht sich seit dem Presser ihres Vorsitzenden Winston Peters vom 19. Oktober mit einer verwirrenden neuen Realität konfrontiert. NZF koaliert tatsächlich mit Labour und lässt sich dabei auch noch von den NZ Greens dulden – ein Szenario, dem in Deutschland eine Koalition von SPD und AfD mit Unterstützung der Grünen entspräche, übrigens.

Verkehrte Welt, jedenfalls scheinbar.

Denn für den alternden Vorsitzenden von NZF ist der Koalitionsvertrag mit NZ Labour wahrscheinlich die letzte Möglichkeit seiner politischen Laufbahn Einfluss auf die Geschicke Neuseelands zu nehmen. Dass Bill English dies vermutlich nicht erkannte und NZF mit Minimalzugeständnissen abspeisen wollte, wird wahrscheinlich als singuläres Führungs- und Instinktversagen in die politische Geschichte des Landes eingehen.

Wie in die Enge getrieben muss Winston Peters gewesen sein, um sich auf eine Minderheitsregierung mit NZ Labour unter Duldung der Grünen einzulassen? Wahrlich eine Koalition der Verzweifelten: NZF deren Zukunft nach dem absehbaren Ende von Winstons politischer Laufbahn ungewiss ist, NZ Labour, das nicht riskieren wollte zwölf Jahre in der politischen Irrelevanz zu darben und der Grünen, die endlich ein wenig ihrer Agenda umsetzen möchten statt an der Seitenlinie zu maulen.

Was ändert sich unter der neuen Regierung?

Wer unseren Artikel zum Hurricane Jacinda gelesen hat, weiß, dass NZ2Go beinahe eine Wahlempfehlung für NZ Labour abzugeben hatte – bevor Jacinda Ardern es schaffte mit ihrem losen Gerede zu Nordkorea und Flüchtlingen unsere Meinung zu ändern. Das Wahlprogramm von NZ Labour sah auf dem Papier überzeugend genug aus. Es findet sich – um einige NZ First und Greens Themen angereichert – im Koalitionsvertrag wieder, der in vollem Wortlaut zwar noch nicht veröffentlicht ist, dessen Kernpunkte, in schwammigem Politikerjargon, dennoch wie folgt umrissen werden können.

Einwanderung

Hier soll wohl endlich mit dem Phänomen der Fake-Studenten aufgeräumt werden, die für Neuseeland und sich selbst nutzlose Fake-Kurse an Fake-Colleges belegen um de facto einzuwandern und letztlich die Reihen der Tankstellenkassierer und Burgerbrater zu füllen. Ob die Maßnahmen zur versprochenen Verringerung der jährlichen Einwanderung um 30.000 Personen führen werden bleibt abzuwarten. Im Moment beträgt die jährliche netto Migration nach Neuseeland etwa 70.000 Menschen. Zur Ansiedlung von Flüchtlingen, die NZ Labour verdreifachen wollte, ist bisher nichts zu hören. Ich hoffe, dass NZ First dem im Anbetracht der Armuts- und Wohnraumkrise in Neuseeland einen Riegel vorgeschoben hat. Vielleicht behält man den Status Quo einfach bei und das peinliche Thema aus der Regierungspolitik heraus. Es gibt schließlich Wichtigeres als Flüchtlinge, naja wenigsten in den meisten Ländern der Welt.

Ausländische Investoren

Der Kauf existierender Immobilien durch Ausländer soll stark eingeschränkt bzw. schlicht verboten werden, um den Spekulationsdruck auf die Einheimischen abzuschwächen und die Wohnraumkrise zu beenden. Dabei steht noch aus, wie „Ausländer“ in diesem Zusammenhang definiert werden wird. Daneben will die neue Regierung über 10 Jahre 100.000 erschwingliche Häuser bzw. Wohnungen bauen lassen. Erstmals sollen auch statistische Daten zu von Ausländern gehaltenem Immobilieneigentum in Neuseeland erhoben werden.

Renten

Das Renteneintrittsalter (New Zealand Superannuation) bleibt bei 65 und die Regierung will dafür sorgen, dass in den New Zealand Superannuation Fund, der die zukünftige Finanzierung der Renten absichern soll, wieder neue Mittel fließen. Zum Schicksal des unter neu-Kiwis verhassten „Section 70“ der neuseeländischen Sozialversicherungsgesetzgebung, die z.B. in Neuseeland ausgezahlte deutsche Renten mehr oder weniger konfisziert gibt es bisher keine Information. NZ First wollte Section 70 abschaffen. Mich würde es überraschen, wenn Labour hier nachgegeben haben sollte. Schließlich muss die Regierung ihre vielen neuen Ausgaben finanzieren. Warten wir ab.

Bildung

Unter anderem soll – endlich – das Erststudium wieder gebührenfrei werden. Ich nehme an nur für Neuseeländer, aber egal wer sich nun freuen darf, die Normalisierung wird stufenweise erfolgen: zunächst wird das erste Studienjahr gebührenfrei, später auch das zweite und schließlich das dritte. Ich betrachte das als Permakritiker von Studiengebühren, die in erster Linie fette Universitätsverwaltungen finanzieren statt Studienbedingungen zu verbessern mit Genugtuung. In Schulen soll es Begabtenförderung geben und der Staat will aus der Finanzierung privat betriebener Schulen aussteigen.  Daran kann ich nichts Falsches sehen.

Steuern

Schlechte Nachrichten für diejenigen, die in Neuseeland kostenlos Mineralwasser zapfen und nach China exportieren. Sie werden bald nicht mehr umsonst ans Wasser kommen. Außerdem sollen Tankstellen im Großraum Auckland eine Sondersteuer pro Liter Benzin eintreiben, die den Bau von Straßenbahnlinien zwischen der Innenstadt und dem Flughafen (yippie!) und der Innenstadt und West Auckland bezahlen soll. Für viele ein früher Aufreger, aber meiner Meinung keine schlechte Sache. Die von Ardern während des Wahlkampfs angekündigte Kommission zur Steuerreform wird wohl kommen und wahrscheinlich eine Steuer auf Immobilienkapitalerträge vorschlagen. Steuerhinterziehung durch Firmen soll stärker geahndet werden, kleine und mittlere Firmen sollen generell entlastet werden.

Mindestlohn

Wird bis 2021 auf 20 NZD pro Stunde angehoben werden. Im Moment beträgt er 15,75 NZD.

Gesundheit

Hier wird es eine Fülle von kleineren Initiativen geben. Unter anderem sollen Kinder unter 14 Jahren ärztliche Behandlungen kostenfrei erhalten und die Bekämpfung psychischer Krankheiten einen wesentlich höheren Stellenwert im Gesundheitswesen bekommen.

Verkehr und Regionen

Ins völlig vernachlässigte Zugnetz soll wieder investiert werden, die Regionen dürfen sich dank Winston Peters auf 1 Mrd NZD pro Jahr in Infrastrukturausgaben freuen. Winstons Basis in Northland wird die versprochenen Brücken wohl bekommen.

Forschung

Staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung soll innerhalb der nächsten 10 Jahre auf 2% des Bruttosozialprodukts angehoben werden.

Cannabis und Euthanasie

Auf Drängen der Greens wird es ein Referendum zur Entkriminalisierung des persönlichen Gebrauchs von Cannabis geben. Eine sinnvolle und überfällige Maßnahme, denn der „Krieg gegen Drogen“ kann als weltweit gescheitert betrachtet werden. Auch zum Thema Sterbehilfe wird das Volk befragt werden.

‘Waka Jumping’

Witziger Begriff, ein Waka ist ein großes Maori Kanu. Parlamentarier, die sich – siehe Frauke Petry – über eine Parteiliste ins Parlament wählen lassen, sollen zukünftig ihren Sitz zurückgeben, wenn sie die Partei verlassen.

Umwelt

Im Kernthema der neuseeländischen Grünen – die deutschen Grünen beschäftigen sich ja inzwischen vor allem mit der Förderung irregulärer Migration – wird es einigen Aktionismus geben, eine Milliarde Bäume sollen gepflanzt werden, das Seegebiet um die Kermadec Inseln unter Schutz gestellt und natürlich sollen Klimaziele irgendwie verfolgt und erreicht werden. Die Budget der Umweltbehörde Department of Conservation wird erhöht.

Soziales

Jacinda Ardern selbst wird ein neues ministerielles Portfolio zur Bekämpfung von Kinderarmut übernehmen. Gewalt gegen Kinder und Frauen soll stärker bekämpft werden und 1800 neue Stellen für Polizisten geschaffen werden.

Geldpolitik

Rolle und Aufgaben der Zentralbank werden überprüft und ggf. geändert und die einzige größere Bank Neuseelands, die sich wirklich neuseeländisch nennen kann, Kiwibank (früher als Postbank bekannt) soll zur Hausbank der öffentlichen Hand werden.

***

Das ist nur ein Auszug aus dem Regierungsprogramm der einige Themen streift, die für unsere Leser wahrscheinlich von Interesse sind.

Natürlich ist Papier geduldig und die neue Regierung muss ihre Vorhaben umsetzen, bevor man sich ein Urteil über ihre politische Effektivität erlauben kann.

Klar ist jedoch, dass auch wenn nur ein Bruchteil dieses Programms Wirklichkeit werden sollte, die Regierung Ardern-Peters ihre Kollegen in Deutschland als unfähige Nichtstuer entlarvt. Wenn es Neuseeland als ein kleines Land mit begrenzten Mitteln schafft grundlegende gesellschaftliche Probleme rational anzugehen, wie kann es dann sein, dass sich ein wirtschaftlich und finanziell bärenstarkes Deutschland mit jämmerlichem Merkelschem Einfach-Alles-Wie-Immer abfindet?

Wie stabil wird Neuseelands neue Exekutive?

Das Labour – NZ First Konstrukt ist verwundbar. Da die Grünen formal kein Teil der Koalition sind, kommen Labour und NZ First auf nur 55 Abgeordnete. Damit fehlen zu einer parlamentarischen Mehrheit 6 Stimmen. Die 8 Abgeordneten der Greens haben sich für die Zugeständnisse in den Bereichen Umwelt und Cannabisreferendum sowie einigen Regierungsämtern unterhalb des Kabinettsranges nur verpflichtet den Haushalt zu verabschieden. Der Rest wird von Abstimmung zu Abstimmung ausgehandelt werden.

Im Grunde regiert in Neuseeland also seit gestern eine „Minderheitsregierung +“. Das wird mit Sicherheit anstrengend und wir dürfen annehmen, dass viele der Politikprojekte, die das exotische Gespann Ardern – Peters beackern möchte in der Legislaturperiode von drei Jahren nicht umgesetzt werden.

Andererseits ist die Kombination von Restidealismus und jugendlicher Selbstüberschätzung Arderns mit der Abgebrühtheit und Lebenserfahrung des greisen Winston vielleicht ein Rezept das für Neuseeland liefert.

Wie konnte NZ National so versagen?

Auch New Zealand National leidet am Merkelsyndrom, buchstäblich, wenn man sich das Gegrinse von Bill English neben Angela Merkel ansieht und weiß, dass er während des Wahlkampfs seine Bewunderung für und gutes Verhältnis zur vermeintlichen Führerin der freien Welt zum Besten gab.

Das Wahlkampfgetöse mag nebensächlich sein, andere Symptome von Morbus Merkel sind es nicht: Realitätsverweigerung zum Beispiel im Hinblick auf die Armuts- und Wohnraumkrise Neuseelands, stures Festhalten an einer Globalismusideologie, die elementare Gesellschaftsverträge und nationale Interessen missachtet usw. NZ National 2017 könnte und sollte das ‚National‘ im Parteinamen genauso streichen wie die Merkel-CDUCSU ihr ‚C‘. Entfremdung von der Basis und blindes Augenmerk für die Nutznießer einer entmenschlichten Globalisierung haben auch in Neuseeland einen Gegenreflex ausgelöst.

Jacinda Ardern’s krude Kapitalisnmuskritik teile ich aber ausdrücklich nicht. In einer marktgetriebenen Bereinigung der Systemkrise, die vor etwa zehn Jahren begann wäre es nicht zur Spekulationsblase auf dem neuseeländischen Immobilienmarkt 2012 – 17 gekommen, sondern zu Bank- und Spekulantenpleiten, die die Preise für Häuser nachhaltig nach unten korrigiert hätten. Globale Planwirtschaft einiger politisierter Zentralbanken baut auf sozialistischen, nicht kapitalistischen Wirtschaftsmodellen auf.

Stolz auf Neuseeland

Das Land gibt seinen Kiwis selten genug Grund stolz zu sein, aber trotz der Unwägbarkeiten der neuen politischen Situation und der sehr realen Möglichkeit des Scheiterns der Regierung und vorgezogener Neuwahlen, ist es gut zu sehen, dass sich hier ein Land und eine politische Klasse endlich einmal trauen auf Risiko zu gehen. Dieser Akt des Willens und des Optimismus stärkt meinen zugegeben schwachen Glauben an die langfristige Zukunftstauglichkeit Neuseelands.

Mit viel Freude nehme ich auch zu Kenntnis, dass das deutsche Modell der menschenverachtenden Ausgrenzung politisch Andersdenkender in Neuseeland keine Chance hat. Ähnlich wie in der Schweiz, in der Grüne und SVP hassfrei gemeinsam politische Projekte verfolgen, wenn diese inhaltlich im Interesse der Wählerschaft beider Gruppen zu liegen scheinen, haben auch Neuseelands Parteien eine demokratische Reife bewiesen, die in der realexistierenden Merkelmonarchie Deutschland noch immer undenkbar ist.

Ein schmetterndes God Defend New Zealand aus unserer Nationalhymne!

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3 Responses to Opinion: Ein New Deal für Neuseeland?

  1. Friedhelm sagt:

    Ich habe im Internet gelesen, dass Schweizer Staatsbuerger die noch ein Konto in der Schweiz hatten sich die Rente auf ihr Konto in der Schweiz habe auszahlen lassen. Geht das in Deutschland auch ??

  2. Jürgen sagt:

    Beim Thema Flüchtlinge aufnehmen rasten die irgendwie alle aus. Jeder hat natürlich das Bedürfnis, seine Lebensumstände zu verbessern (hüstel, warum schaue ich wohl auf NZ). Wirklich arme schaffen es nicht.

    Ardern sollte doch mal auf die 6 Millionen schauen, die jedes Jahr verhungern. Da kann NZ doch prima Lebensmittel liefern.

    • Peter sagt:

      Ardern muss gar nicht soweit schauen oder reisen um Unter- bzw. Fehlernährung zu sehen. South Auckland reicht da schon.

      Ziemlicher Fehlstart mit ihren 150 Aufnahmeplätzen für illegale Querulanten auf Manus gleich Mal den australischen Premierminister zu nerven. Wow, Jacinda in Woche 2 und schon den Speichel der internationalen Presse geleckt. Scheint wohl zu denken, dass sie damit die Rassismusvorwürfe entkräften kann, die auf sie einprasseln seit sie angekündigt hat den neuseeländischen Immobilienmarkt für ausländische Spekulanten schließen zu wollen. Wo käme man auch hin, wenn plötzlich die Interessen der eigenen Bürger über denen der kommunistischen Partei der VR China stünden.

      Naja, die deutsche Steinbrille kommt ja auch nächste Woche und wird sich vor allem mit „Flüchtlingen“ beschäftigen und nicht mit den Interessen in Neuseeland lebender Deutscher. Sein Flieger sollte aber genug Platz bieten das Manus-Problem im Sinne aller zu lösen. Die paar hundert würden in Deutschland nun wirklich keinem auffallen.

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